Personalleiter in der Warteschleife
Markus Hartenstein dachte, er sei gut vorbereitet. Netzwerker, erfahren, strategisch. Nach der einvernehmlichen Trennung von seinem letzten Arbeitgeber rechnete er mit einem schnellen Wechsel. Stattdessen: Funkstille. Absagen. Selbstzweifel.
Mit 54 Jahren, nach fast 30 Jahren Berufserfahrung im Personalwesen, wurde ihm klar: Die Chancen am Arbeitsmarkt sind schlechter als gedacht.
„Viele Stellen, aber kaum auf meinem Level“, sagt er rückblickend.
Der Arbeitsmarkt: träge. Bewerbungsphasen ziehen sich über Monate. Die Rückmeldungen: rar, vage oder gar nicht vorhanden.
Jobwunder in der Krise
Die Zahl der Beschäftigten ist 2024 mit 46,1 Millionen zwar auf Rekordniveau geblieben. Doch unter der Oberfläche bröckelt es. Große Konzerne bauen massiv ab: 14.000 Stellen bei ZF, 11.000 bei Thyssenkrupp, mehr als 10.000 bei Volkswagen, weitere 1.000 bei Bosch.
Das Handelsabkommen der EU mit den USA könnte Deutschland mittelfristig sogar 120.000 Jobs kosten, warnen Ökonomen. Und erstmals seit 2014 könnte die Zahl der Arbeitslosen im August wieder über die Drei-Millionen-Marke steigen.
Vom Schutzschirm zur Schere
Laut Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl offener Stellen auf 630.000 gesunken – eine Viertelmillion weniger als 2022. Holger Stein, Arbeitsmarktexperte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), sieht darin einen Kurswechsel: Nach zwei Jahren defensiver Personalsicherung setzen Unternehmen jetzt wieder auf Effizienz.
Besonders betroffen: junge Berufseinsteiger und über 50-Jährige. Unternehmen zahlen lieber Abfindungen als Weiterbildung. Die Folge: Fachkräfte wie Markus Hartenstein geraten in die Warteschleife.
Der stille Kahlschlag im Tech-Sektor
Nicht einmal Softwareexperten sind vor der Flaute sicher. Patrick Sarraf, 35, war sechs Jahre Entwickler bei einem großen Autobauer – bis das Unternehmen Stellen strich. Aus dem Software-Hub in Sindelfingen wechselte er in die Selbstständigkeit. Seine Neugründung: MuseMachine, ein Kreativ-Tool für Designer.
Trotz KI-Kompetenz winkte der Arbeitgeber seinen Antrag auf Verbleib durch. Die betriebswirtschaftliche Not war größer als der Bedarf an Know-how. Eine Entwicklung, die inzwischen die ganze Branche trifft: 2024 waren 43.000 Informatiker arbeitslos gemeldet – 30 % mehr als im Vorjahr.

Pflege verlassen, Stahl gelernt
Leonie Kramer, 21, begann nach der Realschule eine Ausbildung in der Pflege. Sie kündigte – und wechselte in die Industrie. Heute lernt sie Industriemechanik bei einem Stahlkonzern.
Ihr neuer Beruf macht ihr Spaß, auch wenn der Standort unter Druck steht: Die geplante Wasserstoffumstellung wurde wegen hoher Kosten verschoben.
Trotzdem glaubt sie an ihren Weg. "Ich will übernommen werden," sagt sie – und wirbt selbst auf Messen für den Beruf. Doch die Übernahmequoten sinken, besonders bei kleineren und mittelgroßen Unternehmen.
Die Dienstleistungsgesellschaft kommt – langsam, schmerzhaft
Laut IAB-Ökonom Enzo Werner verliert die Industrie derzeit mehr als 10.000 Jobs pro Monat. Der Wandel hin zur Dienstleistungsökonomie beschleunigt sich. Die Produktivität leidet, neue Jobs entstehen vor allem im Pflege-, Sozial- und Bildungssektor.
Dabei trifft der Strukturwandel besonders Männer: Industrie, Bau und Handel schrumpfen. Neue Jobs entstehen in typischen Frauenberufen. Doch auch dort fehlt Personal. Deutschland altert – der Bedarf an Pflege und Bildung steigt.
KI trifft die Mittelschicht
Auch Hochqualifizierte sind betroffen: Die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Master oder Meisterabschluss stieg um fast 17 Prozent binnen eines Jahres – das sind über 60.000 zusätzliche Fälle.
Studien der ILO warnen: In Industrieländern könnte jeder dritte Job von KI bedroht sein. Auch Tätigkeiten in Recht, Finanzen oder IT stehen unter Druck.
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