Verhandlung statt Vision
Bayer setzt auf Kontinuität – ausgerechnet in einer der unsichersten Phasen seiner Geschichte. Konzernchef Bill Anderson, seit 2023 im Amt, bekommt drei Jahre mehr Zeit. Bis Ende 2029 soll der US-Amerikaner das taumelnde DAX-Schwergewicht wieder auf Kurs bringen.
Ein Vertrauensbeweis – aber auch eine Kapitulation vor der Realität: Die Probleme sind so groß, dass ein Wechsel an der Spitze derzeit riskanter wäre als das Festhalten am Status quo.
Denn Bayer steckt fest. Die Übernahme von Monsanto und damit die milliardenschwere Erbschaft rund um das Glyphosat-Debakel hat den Konzern nicht nur finanziell, sondern auch strategisch an die Wand gedrückt.
Der Supreme Court der USA hat jüngst entschieden, in der Rechtsschlacht nicht so schnell ein Machtwort zu sprechen. Stattdessen wird nun abgewartet, wie sich die neue US-Regierung – vermutlich wieder unter Trump – positioniert.
Und genau das macht Anderson zum zentralen Krisenmanager in einer Causa, die längst mehr ist als ein juristischer Streit um ein Pflanzenschutzmittel. Glyphosat ist für Bayer ein finanzielles, politisches und kommunikatives Pulverfass. Ein Verhandler wird gebraucht. Kein Visionär.
Der Konzern schrumpft sich gesund
Anderson, der zuvor bei Roche als Technologiemanager galt, hat bei Bayer seither einen harten Sparkurs eingeleitet. 11.000 Stellen wurden seit seinem Amtsantritt gestrichen, vor allem im mittleren Management.

Hierarchien wurden abgebaut, Entscheidungswege gestrafft, interne Kommunikation modernisiert. Das Ziel: Kostenersparnis von zwei Milliarden Euro bis 2026 – „voll im Plan“, heißt es aus Leverkusen.
Doch intern brodelt es. Während Investoren die neue Effizienz begrüßen, klagen Mitarbeitende über Entfremdung und Überlastung. Vieles wird zwar schneller – aber auch kälter. Der Geist eines innovativen, global aufgestellten Chemie- und Pharmakonzerns? In Teilen verflogen.
Ein Aktienkurs als Mahnmal
An der Börse spiegelt sich dieses Ringen brutal wider. Zwischenzeitlich notierte das Papier bei über 140 Euro, derzeit sind es rund 27. Eine Halbierung allein in Andersons Amtszeit – trotz aller Reformen. Zwar ging es zuletzt leicht bergauf, doch Analysten sehen in der Entwicklung eher technische Erholung als substanzielle Trendwende.
Bayer ist kein Unternehmen, das aktuell auf Wachstum setzt – sondern auf Schadensbegrenzung. Auf juristische Abwehr statt unternehmerische Offensive. Auf Risikokontrolle statt Innovationslust. Genau darin liegt das Dilemma: Die Kapitalmärkte sehen einen Konzern, der mehr mit sich selbst beschäftigt ist als mit der Zukunft.
Der letzte Versuch?
Der Aufsichtsrat gibt Anderson nun fünf statt drei Jahre – weil es keine besseren Optionen gibt. Oder, weil man sich nicht eingestehen will, dass der Turnaround schwerer ist als angenommen.
Denn was Anderson wirklich fehlt, ist die strategische Neupositionierung jenseits von Kostenkürzung und Risikominimierung. Die Wette auf ihn ist auch eine Wette darauf, dass in den USA bald Klarheit herrscht – und nicht noch mehr juristisches Chaos.
Ob die Verlängerung als Signal der Stabilität wirkt oder als Ausdruck der Verzweiflung – das hängt nun davon ab, ob Anderson Bayer mehr zu bieten hat als Prozessmanagement. Anleger, Belegschaft und Öffentlichkeit warten auf einen Plan B. B wie Bayer. Oder besser: wie Befreiung.