Ein Friedensplan, der Europa kalt erwischt
Der Entwurf kam nicht als diplomatische Randnotiz, sondern als Schock. Mehrere Medien, darunter „Axios“, berichten von einem 28-Punkte-Plan, an dem Washington und Moskau seit Wochen im Stillen gearbeitet haben sollen.
Das Ziel: ein schneller Frieden für die Ukraine. Der Preis: beträchtlich – politisch, territorial, sicherheitspolitisch.
Die Ukraine würde Gebiete abgeben, Russland erhielte die weitgehende Anerkennung seiner bisherigen Eroberungen. Die NATO müsste sich verpflichten, das Land dauerhaft außen vor zu lassen. Und Europa? Wurde über große Teile der Gespräche schlicht nicht einbezogen. Genau das sorgt in Brüssel für spürbare Nervosität.

Territorialfragen, die zur Sollbruchstelle werden
Der Entwurf geht an die Substanz des ukrainischen Staates. Die Krim, Luhansk und Donezk sollen als de facto russisch anerkannt werden – auch von den USA. Andere Gebiete würden eingefroren, manche zurückgegeben. Eine umfassende, aber ausgesprochen asymmetrische Neuordnung.
Für Kyjiw ist das kaum tragbar. Präsident Selenskyj betonte zuletzt, rote Linien blieben bestehen. Dazu gehört besonders eines: keine Gebietsabgaben. Doch genau darauf ist der Plan ausgelegt – und damit weit entfernt von ukrainischen Vorstellungen eines gerechten Friedens.
Die NATO soll Abstand halten – und Polen aufrüsten
Der Entwurf enthält eine bemerkenswerte Passage: Das Bündnis darf weder Truppen in der Ukraine stationieren noch das Land jemals als Mitglied aufnehmen. Beides würde verbindlich verankert – erst in der ukrainischen Verfassung, dann in den NATO-Statuten.
Gleichzeitig sollen europäische Kampfflugzeuge in Polen stationiert werden, quasi als Ersatzpräsenz. Ein Sicherheitskonstrukt, das die Ukraine schützen soll, ohne dass die NATO selbst präsent ist. Kritiker in Europa sehen darin eher ein Schutzwall – allerdings zwischen der NATO und dem Konflikt, nicht zwischen Russland und der Ukraine.
Milliarden für den Wiederaufbau – und ein Deal für Russland
Wirtschaftlich liest sich das Papier fast wie ein Handelsabkommen.
100 Milliarden Dollar eingefrorener russischer Vermögenswerte sollen in den Wiederaufbau fließen, verwaltet von amerikanischen Fonds. Europa würde nochmals 100 Milliarden beisteuern.
Gleichzeitig soll Russland Schritt für Schritt wieder in die Weltwirtschaft integriert werden. Die Rückkehr in die G8, Energiekooperationen mit den USA, Projekte in Rohstoffen, Arktis und Technologie – all das steht im Entwurf. Damit bekäme Moskau nicht nur wirtschaftliche Luft, sondern auch politischen Einfluss zurück.
Für viele europäische Diplomaten ist das ein bitteres Signal: Russland würde im Grunde für seinen Angriffskrieg belohnt.
Wahlen in 100 Tagen und eine Amnestie, die fassungslos macht
Ein weiterer Punkt sorgt für Kopfschütteln: Die Ukraine soll binnen 100 Tagen nach Einigung Neuwahlen abhalten. In einem Land, das flächendeckend zerstört ist und dessen Bevölkerung teils im Ausland lebt, wirkt diese Forderung realitätsfern.
Dazu kommt eine generelle Amnestie für alle Konfliktbeteiligten. Kriegsverbrechen, Deportationen, Folter – alles soll folgenlos bleiben. Aus juristischer Sicht wäre das ein Tabubruch. Aus moralischer Perspektive ein Desaster.

Ein Plan, der Frieden verspricht – und Europa spaltet
Die US-Regierung bezeichnet den Entwurf als „lebendiges Dokument“. Anpassbar, veränderbar, noch nicht final. Doch die Stoßrichtung ist klar: ein schneller Deal, der militärische Realitäten akzeptiert und politische Stabilität verspricht.
Europa sieht das völlig anders. Die EU-Außenminister sprachen am Donnerstag von einem „inakzeptablen Alleingang“. Für sie steht fest: Ein Frieden ohne Europa ist kein stabiler Frieden. Und schon gar keiner, der im Einklang mit ukrainischen Interessen steht.
Ein Dokument, das die Welt neu sortiert – oder einen alten Fehler wiederholt
Am Ende steht ein Entwurf, der weit mehr tut, als die Waffen zum Schweigen zu bringen. Er ordnet Einflusssphären neu. Er verschiebt Grenzen. Er bindet die Ukraine, ohne sie wirklich zu schützen. Und er gibt Russland eine Rolle zurück, die es seit 2014 verloren hatte.
Ob dieser Plan Realität wird, ist offen. Sicher ist nur: Sollte er umgesetzt werden, wäre er einer der folgenreichsten diplomatischen Deals der vergangenen Jahrzehnte. Frieden wäre dann zwar möglich – aber zu Bedingungen, die die nächste Krise bereits mitdenken.


