31. Mai, 2025

Law

Freispruch für Kurz – aber keine politische Reinwaschung

Das Oberlandesgericht Wien hebt die Verurteilung des Ex-Kanzlers wegen Falschaussage auf. Juristisch ist die Sache erledigt. Politisch aber bleibt ein bitterer Nachgeschmack – und eine zentrale Frage: Wie ehrlich darf Macht heute noch sein?

Freispruch für Kurz – aber keine politische Reinwaschung
Formell korrekt, politisch fragwürdig: Das Oberlandesgericht Wien spricht Sebastian Kurz frei – doch bleibt die Frage, ob Halbwahrheiten im Hohen Haus künftig als akzeptabel gelten sollen.

Er war einer der jüngsten Regierungschefs Europas, Hoffnungsträger der Konservativen – und Symbolfigur eines Systems, das immer wieder mit Grauzonen flirtete. Nun ist Sebastian Kurz, Ex-Kanzler Österreichs, juristisch vollständig rehabilitiert.

Das Oberlandesgericht Wien hat die achtmonatige Bewährungsstrafe wegen angeblicher Falschaussage aufgehoben. Kurz sei nicht zu bestrafen – nicht weil seine Aussagen inhaltlich korrekt gewesen wären, sondern weil sie formal nicht falsch genug gewesen seien.

Zwischen Zeile und Wahrheit

Der Hintergrund: Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur „Ibiza-Affäre“ war Kurz 2020 zu seinem Einfluss auf die Bestellung von ÖBAG-Aufsichtsräten befragt worden.

Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, die eigene Rolle kleingeredet zu haben. Es war eine klassische Ja/Nein-Frage – und laut Gericht eine formal richtige Antwort.

Dass er im Begriff war, seine Aussage näher zu erläutern, sei aus Videoaufnahmen ersichtlich. Doch er wurde unterbrochen. Die strafrechtliche Bewertung: keine absichtliche Falschaussage, keine Schuld.

Aber was sagt es über ein politisches System aus, wenn die Wahrheit in einer Ja/Nein-Dichotomie abgearbeitet wird?

Kurz triumphiert – doch wer zahlt den Preis?

Für Kurz ist das Urteil ein Befreiungsschlag. Schon vor dem Verfahren hatte er sich aus der Politik zurückgezogen, ist heute in der Privatwirtschaft aktiv – doch das juristische Damoklesschwert blieb. Mit dem Freispruch wird er nun versuchen, seine Reputation wiederherzustellen.

In der Politik allerdings dürfte sein Comeback schwierig sein. Zu viel ist passiert: die Ibiza-Affäre, die Chats aus dem Kanzleramt, das toxische Machtverständnis eines engmaschigen Netzwerks aus Vertrauten und Beratern.

Der Fall Kurz war nie nur juristisch. Er war immer auch ein Testfall für politische Integrität – und dafür, wie weit Narrative gedehnt werden dürfen, bis sie reißen.

Ein Schuldspruch bleibt bestehen – und ein Schatten fällt zurück

Brisant: Während Sebastian Kurz freigesprochen wurde, bleibt der Schuldspruch gegen seinen früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli bestehen. Sechs Monate auf Bewährung – wegen derselben Ermittlungen.

Das Urteil im Fall Kurz illustriert, wie eng juristische Logik und politisches Vertrauen heute beieinanderliegen – und wie oft sie sich widersprechen.

Ein Zeichen dafür, dass das System Kurz zwar juristisch entschuldbar sein mag, moralisch aber keineswegs rein erscheint. Dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft keine weiteren Rechtsmittel eingelegt hat, zeigt: Der Fall ist für die Justiz abgeschlossen. Aber für das Land?

Die größere Lehre: Politik und Verantwortung im 21. Jahrhundert

Die Aufarbeitung der Ibiza-Affäre war kein Spaziergang durch juristische Details. Sie war ein Spiegel: für die politische Kultur, für den Umgang mit Kontrolle, für das Verhältnis von Macht und Wahrheit.

Der Freispruch von Sebastian Kurz könnte juristisch korrekt sein – doch er darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr Vertrauen in Politik durch systematische Grenzverschiebung erodiert.

Es ist nicht nur die Antwort, die zählt – sondern auch die Bereitschaft, sie zu erklären. Wenn Parlamentarier Antworten unterbrechen, Richter formale Korrektheit betonen und Politiker sich auf technisches Kleingedrucktes berufen, dann geht etwas verloren: die Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit.

Das könnte Sie auch interessieren:

Verspekuliert mit Beton – Wie hessische Ärzte Hunderttausende gefährden
Das Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen hat mit riskanten Immobilienpapieren bis zu 300 Millionen Euro verloren. Im Zentrum steht eine Luxemburger Zweckgesellschaft – und ein Finanzprodukt, das kaum jemand versteht.