Ein Dax-Konzern mit Rückenwind – aber auch mit Turbulenzen
Der Kurs ist gestiegen, der Umsatz stabil, die Erwartungen hoch: MTU Aero Engines wirkt derzeit wie ein Vorzeigekandidat im Dax. Doch der Schein trügt, zumindest teilweise.

Hinter dem blendenden Aktienplus von mehr als 50 Prozent in zwölf Monaten verbirgt sich ein Unternehmen, das nicht nur an Triebwerken baut, sondern auch an der eigenen Zukunft.
Ab kommender Woche wird Johannes Bussmann, ehemaliger CEO von Lufthansa Technik, die Geschicke des Unternehmens mitlenken. Vorerst als einfaches Vorstandsmitglied – zum 1. September dann als Nachfolger von CEO Lars Wagner. Der scheidende Chef wechselt zu Airbus, wo er im kommenden Jahr die zivile Flugzeugsparte übernimmt.
Für Bussmann beginnt ein Flug mit anspruchsvollem Kurs – ohne Autopilot.
Erste Herausforderung: Produktion schneller hochfahren, als die Nachfrage fällt
Eines der größten akuten Probleme: MTU liefert nicht schnell genug. Der Hochlauf der Triebwerksfertigung – insbesondere für neue Airbus-Modelle – gerät ins Stocken. Die Folge: sogenannte „Glider“, also Flugzeugrümpfe ohne Triebwerke, stapeln sich in Toulouse. Das kostet Airbus Milliarden – und belastet indirekt auch MTU.
Bussmann kennt solche Situationen. Nach der Pandemie hat er bei Lufthansa Technik die Werkstätten in Rekordzeit wieder hochgefahren, um die geparkten Flotten der Airlines wieder fit zu machen. Seine operative Erfahrung könnte jetzt entscheidend sein.
Denn das Problem liegt nicht nur in der Fertigung, sondern auch in den Zulieferketten – und im Umgang mit fehleranfälligem Material, wie der Fall Pratt & Whitney 2023 gezeigt hat.

Zweite Baustelle: Klimaziele, Komplexität, Kooperation
Die Entwicklung neuer Triebwerke ist heute ein Drahtseilakt: Sie müssen leichter, leiser und vor allem effizienter sein – ohne dabei an Zuverlässigkeit zu verlieren. Gleichzeitig rückt das Ziel der klimaneutralen Luftfahrt näher, und damit der Druck auf Hersteller, radikal umzudenken.
MTU ist längst nicht mehr nur Zulieferer, sondern Partner in multinationalen Triebwerksprogrammen. Doch Partnerschaften wollen gepflegt werden – technisch, wirtschaftlich, politisch.
Und sie erfordern jemanden an der Spitze, der nicht nur Zahlen versteht, sondern auch Technologie. In dieser Hinsicht bringt Bussmann deutlich mehr mit als der durchschnittliche Dax-CEO. Bei Lufthansa Technik hat er mit GE, Honeywell, Pratt & Whitney und MTU selbst gemeinsame Projekte umgesetzt. Auch das Joint Venture in Polen zur Triebwerkswartung war sein Werk.
Doch bei MTU sitzt er nicht mehr auf der Abnehmerseite – sondern auf der anderen Seite des Tisches.
Dritte Schwachstelle: Interne Abläufe – zu komplex für die Komplexität
Dass MTU in der Instandhaltung weltweit gefragt ist, verdankt der Konzern nicht nur technischer Kompetenz, sondern auch einem soliden Prozessverständnis. Doch gerade dort hat es zuletzt geknirscht.
Die Rückrufaktion defekter GTF-Turbinen beim Partner Pratt & Whitney legte die Achillesferse des Systems offen: mangelnde Flexibilität in der Prozesskette. Die Reparaturen banden Kapazitäten, die anderswo schmerzlich fehlten.
Um gegenzusteuern, hat der scheidende CEO Wagner das Projekt „Uplift“ gestartet – ein internes Effizienzprogramm, das Prozesse standardisieren und beschleunigen soll. Bussmann muss dieses Programm nicht nur vollenden, sondern auch glaubwürdig vertreten. Immerhin hat er bei Lufthansa Technik mit „Lift“ ein ähnliches Projekt selbst aus der Taufe gehoben – mit nachweisbarem Erfolg.
MTU ohne Mutter – Freiheit oder Verantwortung?
Anders als bei Lufthansa Technik steht Bussmann bei MTU allein auf der Brücke. Kein Lufthansa-Vorstand, kein Airline-Konzern im Hintergrund, keine Sicherheitspolster. Für viele Manager wäre das ein Risiko. Für Bussmann könnte es die Chance sein, wirklich zu gestalten – frei von Konzernpolitik, dafür mit direkter Bilanzverantwortung.
„Er ist jemand, der tief in die Technik einsteigt, aber auch das wirtschaftliche Ganze sieht“, beschreibt ihn ein früherer Kollege. In Hamburg war es nicht ungewöhnlich, dass er unangemeldet durch die Werkstätten ging – nicht zur Kontrolle, sondern um zu verstehen.
Ein Mitarbeiter erinnert sich: „Er wollte wissen, wie Entscheidungen unten ankommen. Auch wenn das nicht immer bequem war.“
Ein Chef ohne Show – aber mit System
Bussmann ist kein Lautsprecher. Wer große Strategiereden oder öffentliche Auftritte erwartet, wird enttäuscht. Er arbeitet im Hintergrund, präzise, analytisch – und mit einer gewissen Ungeduld. Kollegen sagen, er sei „freundlich, aber fordernd“. Wer bei Meetings abschweift oder sich wiederholt, müsse mit knappen Worten rechnen. Auf Lufthansa-Seite war das in seiner Personalakte sogar offiziell vermerkt.
Was wie eine Marotte klingt, könnte für MTU zum Vorteil werden. Denn wer Tempo machen will, braucht nicht immer Charisma – sondern klare Ansagen, operativen Sachverstand und den Willen, auch unangenehme Themen anzupacken.
Wirtschaftlich glänzt MTU – doch die nächsten zwölf Monate entscheiden
Mit einem Börsenwert von rund 20 Milliarden Euro ist MTU fast doppelt so viel wert wie die gesamte Lufthansa-Gruppe. Das allein zeigt, welche Erwartungen Investoren an das Triebwerksgeschäft stellen – vor allem in Zeiten globaler Luftfahrtnachfrage. Doch hohe Erwartungen sind ein zweischneidiges Schwert: Sie verzeihen wenig.
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