18. August, 2025

Wirtschaft

Lira taumelt – und mit ihr die Türkei

Die türkische Währung stürzt weiter ab. Die Inflation bleibt zweistellig, das Vertrauen bröckelt, und selbst der Tourismus bekommt Risse. Die wirtschaftlichen Folgen sind gravierend – für das Land, für die Menschen, aber auch für Verbraucher in Europa.

Lira taumelt – und mit ihr die Türkei
Wechselkurs-Schock in Istanbul: Für einen Euro gibt es inzwischen über 36 Lira – dreimal so viel wie noch vor fünf Jahren. Die massive Entwertung macht Alltagswaren für viele Türken unbezahlbar.

23 Prozent in acht Monaten

Die türkische Lira fällt auf ein neues Rekordtief – schon wieder. Gegenüber dem Euro verlor sie allein seit Jahresbeginn rund 23 Prozent an Wert, gegenüber dem Dollar gut 15,5 Prozent. Damit zählt sie 2025 zu den schwächsten Währungen der Welt. Nur der argentinische Peso steht noch schlechter da.

Wer heute für 1.000 Euro in Antalya tauscht, bekommt so viele Lira wie nie. Für Urlauber ein Grund zur Freude – für Millionen Türken ein täglicher Albtraum. Denn das Geld reicht immer seltener für das Nötigste.

Die Rechnung kommt später

Jahrelang hat Präsident Erdoğan die Leitzinsen gedrückt, obwohl die Inflation hoch war. Ein klarer Bruch mit ökonomischen Grundregeln – mit klaren Folgen. Die Lira verlor stetig an Wert. Importwaren wurden teurer. Die Preise zogen an. Investoren zogen sich zurück.

Zwischen 2021 und 2024 verlor die Lira fast 80 Prozent ihres Wertes zum Dollar. Und obwohl der Leitzins 2024 zwischenzeitlich auf 46 Prozent angehoben wurde, zeigt die aktuelle Entwicklung: Das Vertrauen ist weg. Die jüngste Zinssenkung auf 43 Prozent hat es nicht zurückgebracht.

Staatliches Pflaster, teurer als gedacht

Das 2021 eingeführte KKM-System sollte Sparer beruhigen. Wer Geld in Lira anlegte, bekam eine Garantie vom Staat gegen Wechselkursverluste. Die Idee: Das Vertrauen in die Landeswährung stärken.

Die Lira-Krise trifft die Bevölkerung hart, während Touristen vom Währungsverfall profitieren. Doch auch der Tourismus schwächelt – die Buchungszahlen sind rückläufig.

Die Realität: Über 60 Milliarden Dollar an Ausgleichszahlungen. Und eine Lira, die trotzdem weiter fiel. Die Regierung hat inzwischen begonnen, das System wieder zurückzufahren – zu spät.

Haselnüsse im Gegenwind

Die Währungskrise trifft auch die Landwirtschaft – besonders beim „grünen Gold“ der Türkei: Haselnüsse. Das Land deckt rund 60 Prozent des Weltmarkts. Doch Kälte im Frühjahr zerstörte Teile der Ernte, viele Bauern sind nicht versichert.

Die Preise stiegen seit Jahresbeginn um über ein Drittel – noch bevor überhaupt geerntet wurde. Der staatlich festgelegte Einkaufspreis liegt 2025 bei umgerechnet 4,20 Euro je Kilo – rund 17 Prozent mehr als im Vorjahr. In Lira gerechnet entspricht das sogar über 50 Prozent Aufschlag.

Was das für Nutella bedeutet

Große Einkäufer wie Ferrero spüren die Preissteigerungen. Der Süßwarenkonzern bezieht rund ein Drittel aller weltweit gehandelten Haselnüsse – viele davon aus der Türkei. Noch schweigt das Unternehmen zur Frage, ob Nutella bald teurer wird. Aber in der Branche rechnet man genau damit.

Auch andere Hersteller, darunter Zentis, Ritter Sport oder Seeberger, müssen tiefer in die Tasche greifen. Einige prüfen bereits die Umstellung auf Mandeln – weil sie günstiger und planbarer sind.

Urlaub bleibt günstig – aber nicht planbar

Zwar profitieren Reisende zunächst vom Lira-Verfall. Hotels, Essen, Dienstleistungen – alles scheint günstiger. Doch die starke Währungsschwankung sorgt auch für Unsicherheit. Viele Hotels passen ihre Preise spontan an. Wer zu spät bucht, zahlt mehr.


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Dazu kommt: Die politische Lage schreckt ab. Nach der Verhaftung von Oppositionsführer Ekrem İmamoğlu brachen die Buchungen im Frühjahr ein. Laut dem Institut Travel Data + Analytics gingen die Reservierungen für die türkische Riviera um rund zehn Prozent zurück.

Und die Inflation? Bleibt hoch

Offiziell lag die Teuerungsrate im Juli bei 33,5 Prozent – dem niedrigsten Wert seit November 2021. Doch viele Ökonomen zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Zahlen. Schon im Juni lag die Inflation bei über 35 Prozent.

Besonders stark stiegen zuletzt die Preise für Wohnen, Tabak und Energie. Gleichzeitig fehlen Investitionen, viele Firmen drosseln ihre Produktion. Ein gefährlicher Mix aus Teuerung und wirtschaftlicher Schwäche droht.

Eine verlorene Generation

Inzwischen trifft die Krise auch die Jüngsten. Immer mehr Kinder müssen arbeiten, um das Überleben ihrer Familien zu sichern. Schulen werden vernachlässigt, Perspektiven gehen verloren. Medien sprechen bereits von einer „verlorenen Generation“. Und ein Ende ist nicht in Sicht.

Die Märkte trauen der Politik nicht mehr

Der Kapitalabfluss hält an. Internationale Investoren meiden die Türkei, obwohl die Zinsen vergleichsweise hoch sind. Die Märkte glauben nicht mehr an die politische Stabilität – und nicht an die Wirtschaftspolitik.

Selbst die US-Großbank Morgan Stanley erwartet weitere Zinssenkungen. Die Inflation soll laut ihren Analysten bis Jahresende auf rund 25 Prozent gedrückt werden. Was das für die Lira bedeutet? Noch mehr Druck. Noch mehr Abwertung.

Ein Land, das den Kurs verloren hat

Die Lira ist nur ein Symptom – aber ein klares. Die Türkei steht wirtschaftlich an einem kritischen Punkt. Politisch isoliert, wirtschaftlich geschwächt, sozial zerrissen. Wenn sich nichts ändert, wird die Lira nicht das einzige sein, das weiter an Wert verliert.

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