30. Oktober, 2025

Startups & VC

Lettlands leiser Aufstieg – wie ein Mini-Staat zur Drohnenmacht Europas wird

Russlands Drohgebärden, geopolitische Spannungen und die wachsende Gefahr an der EU-Ostflanke treiben Lettland zum technologischen Quantensprung. Mit Start-ups wie Eraser entsteht im Baltikum eine neue Rüstungsindustrie – schnell, effizient und erstaunlich modern.

Lettlands leiser Aufstieg – wie ein Mini-Staat zur Drohnenmacht Europas wird
Baltische Abschreckung: Lettland investiert über 1,6 Milliarden Euro in Verteidigung – gemessen an der Wirtschaftsleistung eines der höchsten Militärbudgets Europas.

Wenn Bedrohung zum Innovationsmotor wird

In Lettland reagiert man auf Drohungen nicht mit Panik, sondern mit Präzision. Nur wenige hundert Kilometer von der russischen Grenze entfernt hat sich das 1,8-Millionen-Einwohner-Land zu einem der dynamischsten Standorte Europas für Drohnentechnologie entwickelt. Was als kleines Nebenprojekt eines Telekommunikationsunternehmens begann, ist heute eine militärische und technologische Erfolgsgeschichte – und ein Lehrbeispiel für Europas neue Sicherheitsarchitektur.

Das lettische Start-up Eraser steht dabei sinnbildlich für diesen Wandel. 60 Mitarbeiter entwickeln und montieren Drohnen, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden. 13 Modelle in nur einem Jahr – ein Tempo, das man sonst nur aus der Tech-Szene im Silicon Valley kennt.

Vom Funkgerätehändler zum Hightech-Lieferanten

Eraser wurde ursprünglich 2023 als internes Projekt des Verteidigungsunternehmens Belss gegründet, das die lettische Armee ausstattet. Ein Jahr später machte man sich selbstständig – und begann, die europäischen Rüstungsmärkte zu überraschen. „Während andere noch über den Kauf verhandeln, haben wir schon das Nachfolgemodell fertig“, sagt CEO Edgars Gaurucs trocken.

Belss und Eraser verfolgen eine gemeinsame Philosophie: keine langen Entscheidungswege, keine Bürokratie. Die Gründer treffen sich jeden Morgen um 8:30 Uhr, Entscheidungen fallen sofort. In der europäischen Verteidigungsindustrie, in der sich Projekte oft jahrelang verzögern, ist das beinahe revolutionär.

Ein kleines Land denkt groß

Lettland hat in den letzten Jahren massiv aufgerüstet – mit klarer Strategie. Gemeinsam mit Großbritannien führt Riga die sogenannte Drohnenkoalition zur Unterstützung der Ukraine an. 2024 lieferte das Land rund 5000 unbemannte Fluggeräte an die Front.

Der Staat investiert weiter: 20 Millionen Euro fließen in den Aufbau einer eigenen Drohnenarmee. Der Verteidigungsetat steigt auf 1,6 Milliarden Euro – ein Plus von 20 Prozent in zwei Jahren, ganz ohne EU-Mittel. Parallel wächst die heimische Rüstungsindustrie: Bis 2036 soll sie 30 Prozent des nationalen Bedarfs decken, derzeit liegt der Anteil bei zehn Prozent.

Europas neue Drohnenwerkstatt

Eraser ist längst nicht mehr allein. Auch Schwergewichte wie Rheinmetall zieht es ins Baltikum. Der deutsche Konzern baut gemeinsam mit der lettischen Regierung eine Munitionsfabrik, die zehntausende Artilleriegeschosse pro Jahr liefern soll. Das stärkt nicht nur Lettlands Verteidigungsfähigkeit, sondern auch die Abschreckung entlang der Nato-Ostflanke.

„Das Baltikum hat verstanden, dass militärische Unabhängigkeit industrielle Stärke braucht“, sagt Florian Schröder, Vorstand der Deutsch-Baltischen Handelskammer. „Drohnen sind der Gamechanger – sie sind günstig, flexibel und entscheidend für die Verteidigung.“

Innovation unter Realbedingungen

In Lettland wird nicht nur produziert, sondern auch getestet – unter Bedingungen, die man sonst nur im Einsatzgebiet findet. Seit 2024 betreibt das Land den ersten Drohnen-Testplatz der Nato, auf dem auch sogenannte Loitering Munition erprobt wird – Flugkörper, die über dem Zielgebiet kreisen, bis sie zuschlagen.

„Wir simulieren elektronische Störangriffe, um zu sehen, wie robust unsere Systeme reagieren“, erklärt CEO Gaurucs. „Dadurch sind unsere Modelle kampferprobt, bevor sie überhaupt an die Front gehen.“

Eraser produziert mittlerweile 7000 Drohnen pro Jahr. „Wir stellen wahrscheinlich mehr Einheiten pro Monat her, als Europa aktuell überhaupt braucht“, sagt Gaurucs – eine Mischung aus Stolz und Ironie in der Stimme.

Angriff und Abwehr aus einem Guss

Neben Angriffs- entwickelt Eraser auch Abfangdrohnen. Diese sogenannten Interceptor-Drohnen jagen feindliche Flugkörper direkt in der Luft. Sie greifen auf militärische Radardaten zu, fliegen bis zu 300 km/h schnell und nutzen künstliche Intelligenz zur Zielerkennung. Ein kostengünstiger Ansatz, der Raketen oder Kampfjets teilweise ersetzt.

„Unsere Technologie soll nicht abschrecken, sondern schützen“, sagt Gaurucs. „Aber klar – Abschreckung ist Teil der Verteidigung.“

Die Realität an der Grenze

Während in Berlin oder Paris noch über Verteidigungsetats diskutiert wird, erlebt das Baltikum die Bedrohung täglich. Russische Kampfflugzeuge verletzen regelmäßig den Luftraum von Estland, Lettland oder Litauen. Allein im September flogen drei MiG-31-Jets zwölf Minuten ungehindert über die Ostsee.

„Die Intensität dieser Vorfälle nimmt zu“, warnt Handelskammerchef Schröder. Lettland reagiert – nicht mit Symbolpolitik, sondern mit handfesten Projekten.

Europas Verteidigung beginnt in Riga

Eraser steht exemplarisch für eine neue Generation europäischer Verteidigungsunternehmen: schnell, pragmatisch, technologiegetrieben. Lettland hat erkannt, dass Sicherheit nicht von Größe abhängt, sondern von Geschwindigkeit und Entschlossenheit.

Während viele EU-Staaten noch über Bürokratie und Zuständigkeiten streiten, baut Riga längst an der Verteidigung der Zukunft.
Ein kleines Land, das vorlebt, was Europa so dringend braucht: Entschlossenheit, Technologie – und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

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