Die Angst, die keiner sieht
Die Kollegen lachen, der Chef nickt anerkennend – und trotzdem sitzt die Angst tief: Was, wenn ich bald gefeuert werde? Diese Frage taucht nicht erst auf, wenn der Konzern rote Zahlen schreibt oder die dritte Kündigungswelle durchs Unternehmen schwappt. Sie ist leise, schleichend – und oft völlig losgelöst von der Realität.
„Die Angst vor dem Jobverlust gehört zu den häufigsten Sorgen, die ich in der Praxis höre“, sagt Ellen Hendriksen, klinische Psychologin an der Boston University.
Und sie trifft nicht nur Menschen in Krisenbranchen. Auch in wachsenden Unternehmen sitzen Mitarbeiter mit schlaflosen Nächten am Rechner, weil sie sich innerlich längst auf der Abschussliste sehen.
Gefühle sind keine Fakten
Ein Klassiker aus Hendriksens Praxis: Allie, erfolgreich, befördert, geschätzt. Und trotzdem überzeugt, dass sie bald auffliegt. Nicht wegen echter Probleme – sondern wegen des ständigen Gefühls, nicht gut genug zu sein. Das nennt man emotionale Beweisführung: Ich fühle mich unsicher, also muss ich es sein.
Allie war das perfekte Beispiel für das Imposter-Syndrom. Präsentationen wurden zur Qual, jeder Blick des Chefs ein stilles Urteil. Die Lösung? Nicht, plötzlich alles locker zu sehen – sondern ein gesünderes Maß zu finden.
Gute Vorbereitung, ja. Aber keine Nachtschichten, keine 50 Wiederholungen desselben Vortrags. Es reicht oft mehr als man denkt – nur merkt man es selbst nicht.
Die Katastrophe, die nie kommt
Ein anderer Fall: Gregor. Familienvater, solider Job, keine echten Probleme. Und trotzdem: Die bloße Idee einer Kündigung löste Panik aus – er sah sich schon verlassen, ohne Dach über dem Kopf. Drei Gedanken später war er obdachlos.
„Das ist typisch“, sagt Hendriksen. „Unser Gehirn liebt Worst-Case-Szenarien.“ Die Lösung? Den Horrorfilm anhalten – und in einzelne Schritte zerlegen. Was müsste alles passieren, bis das schlimmste Szenario Realität wird? Und wie wahrscheinlich ist jeder einzelne Schritt? Wer das ehrlich aufschreibt, merkt schnell: Die eigene Angst hat mathematisch oft keinen Boden.

Wer Sicherheit sucht, findet Unsicherheit
„Ich will nur wissen, dass ich bleiben darf.“ Dieser Satz fällt oft – und bleibt meist unbeantwortet. Denn niemand kann absolute Sicherheit versprechen. Und je mehr man versucht, sich abzusichern – durch Überstunden, ständiges Feedbackholen, Kontrolle –, desto größer wird die Unsicherheit.
Stattdessen schlägt Hendriksen vor: sich mit einem gewissen Maß an Ungewissheit zu arrangieren. Bildlich gesprochen: Stellen Sie sich Ihre Sorge vor wie einen Gegenstand – ein Glas, ein Buch, ein Stein. Legen Sie ihn gedanklich auf den Schreibtisch. Er darf da sein. Und Sie dürfen trotzdem arbeiten. So entsteht Akzeptanz – kein „alles ist gut“, sondern ein „es ist da, und ich arbeite trotzdem weiter“.
Bin ich nur so viel wert wie meine Leistung?
Mark ist gut – und zwar richtig gut. Aber sobald etwas nicht perfekt läuft, bricht sein Selbstwert ein. Ein kritischer Kommentar reicht, um ihn zweifeln zu lassen. Hendriksen nennt das Überbewertung: Wenn beruflicher Erfolg und persönlicher Wert eins werden.
Gerade Menschen aus marginalisierten Gruppen sind oft doppelt betroffen. Sie glauben, sich beweisen zu müssen – nicht nur für sich selbst, sondern für alle, die ihnen ähnlich sind. Der Ausweg? Den Blick weiten. Sich erinnern, dass man mehr ist als nur die letzte PowerPoint oder die aktuelle Monatsauswertung. Ich bin ein guter Freund. Ich bin zuverlässig. Ich bin mehr als mein Beruf.
Wenn Zustimmung zur Droge wird
Natalie holt sich Feedback. Viel Feedback. Von Kollegen, von Vorgesetzten, vom Praktikanten. Ihre Arbeit fühlt sich erst dann „gut“ an, wenn niemand meckert. Doch das macht abhängig – und die eigene Meinung bedeutungslos.
Wer ständig fragt „Ist das gut?“, verliert irgendwann den Blick dafür, ob es für einen selbst gut ist. Hendriksens Rat: Neue Fragen stellen. Habe ich erreicht, was ich wollte? Bin ich mit meinem Ergebnis zufrieden? Dann bleibt die Kontrolle bei einem selbst – nicht beim Applaus der anderen.
Und wenn doch?
Was passiert, wenn die Kündigung wirklich kommt? Diese Frage ist erlaubt – aber sie darf nicht das ganze Denken bestimmen. Wer innerlich vorbereitet ist, verliert den Schrecken. Wer weiß, was dann zu tun ist – wen man anruft, wo man sucht, was man kann –, hat eine Strategie. Kein Leben verläuft planmäßig. Aber wer flexibel bleibt, fällt nicht ins Bodenlose.
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