Frühwarnsignal mit Preis: 130 Millionen Verlust
Eigentlich wollte Julius Bär erst am 22. Mai über die Lage berichten. Doch interne Unruhe und Marktgerüchte über neue Ausfälle bei Immobilienfinanzierungen setzten das Management unter Zugzwang.
Jetzt ist klar: Die Bank stellt weitere 130 Millionen Schweizer Franken für Kreditverluste zurück – ein neuer Tiefpunkt in einer ohnehin angespannten Phase.
Diese Nachricht kommt nicht zufällig: Seit dem milliardenschweren Debakel rund um die Signa-Gruppe des Immobilieninvestors René Benko steht die Bank unter verstärkter Beobachtung. Die neuerliche Rückstellung nährt Zweifel, ob Julius Bär die strukturellen Risiken in der Kreditvergabe tatsächlich im Griff hat.
Risikochef geht – Nachfolger rückt nach
Die Konsequenz ließ nicht lange auf sich warten. Risikochef Oliver Bartholet räumt seinen Posten. Die Bank versuchte zwar, den Abgang als Teil eines geordneten Übergangs zu verkaufen – doch das Timing spricht eine andere Sprache. Ab Juli übernimmt Kreditchef Ivan Ivanic das vakante Amt. Parallel dazu soll erstmals ein eigenständiger Chief Compliance Officer installiert werden.
Die Nachbesetzung mag intern als Zeichen der Erneuerung gelten – nach außen aber ist sie vor allem ein Eingeständnis, dass es bislang an klarer Kontrolle mangelte.
Bollinger räumt auf – unter Druck
Seit seinem Amtsantritt verspricht Vorstandschef Stefan Bollinger eine konsequente Neuausrichtung der Bank. Tatsächlich wurden seit Februar Prozesse gestrafft, Einheiten zusammengelegt und 110 Millionen Franken an Einsparungen angekündigt.

Auch das Volumen der besonders riskanten, maßgeschneiderten Kredite an Superreiche wurde massiv zurückgefahren – von ehemals mehreren Milliarden auf aktuell nur noch 200 Millionen Franken.
Doch die jetzige Rückstellung zeigt: Die Altlasten wirken nach. Der Versuch, Julius Bär operativ auf ein robusteres Fundament zu stellen, kommt spät – und muss sich gegen strukturelle Schwächen durchsetzen, die lange ignoriert wurden.
Kundenvermögen schrumpfen – trotz Zuflüssen
Noch deutlicher wird der Druck beim Blick auf die verwalteten Vermögen: Sie sind in den ersten vier Monaten um sechs Prozent auf 467 Milliarden Franken gefallen. Ein Rückgang, der zum Teil währungsbedingt ist – der starke Franken kostete laut Bank rund 28 Milliarden Franken. Aber auch strukturell ist die Entwicklung problematisch.
Denn die Zahlen zeigen, dass Julius Bär zwar 4,2 Milliarden Franken an Neugeldern einsammeln konnte – überwiegend aus Asien und Westeuropa – das aber bei Weitem nicht ausreicht, um die Verluste zu kompensieren. Die Bank wächst dort, wo sie darf – doch der Bestand schrumpft schneller, als er ersetzt werden kann.
Personalabbau und Finma-Verfahren
Parallel zu all dem läuft ein Verfahren der Finma, der Schweizer Finanzmarktaufsicht, gegen das Haus. Und auch das Personal wird reduziert: 5 Prozent der Stellen – rund 250 Arbeitsplätze – fallen weg. Offiziell zur Kostensenkung. Inoffiziell: ein weiteres Indiz für die Notwendigkeit tiefgreifender Einschnitte.
Während Bollinger den Umbau als „Kurskorrektur“ verkauft, bleibt die Grundfrage unbeantwortet: Wie konnte es so weit kommen – und warum wurde das Risikomanagement so lange vernachlässigt?
Die Zeit arbeitet gegen Julius Bär
Die neuerlichen Verluste, der Abgang des Risikochefs, der Stellenabbau und das schwindende Kundenvermögen sind keine isolierten Ereignisse. Sie erzählen die Geschichte einer Bank, die ihre alten Fehler noch immer teuer bezahlt – und gleichzeitig zu spät begonnen hat, sich neu aufzustellen.
Stefan Bollinger mag der richtige Mann für den Umbruch sein. Doch sein größter Gegner ist nicht der Markt. Sondern die Vergangenheit.