13. Mai, 2025

Politik

Jesse über die AfD und die Grenzen des Extremismusbegriffs

Der renommierte Extremismusforscher Eckhard Jesse kritisiert die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ durch den Verfassungsschutz.

Jesse über die AfD und die Grenzen des Extremismusbegriffs
Jesse kritisiert die Intransparenz des Verfassungsschutz-Gutachtens zur AfD und sieht im Umgang damit ein Demokratiedefizit.

InvestmentWeek (IW): Herr Professor Jesse, der Verfassungsschutz hat die AfD kürzlich als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Sie hingegen vertreten eine differenziertere Sichtweise. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Eckhard Jesse: Die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ halte ich für problematisch. Zwar gibt es innerhalb der Partei Strömungen und Mitglieder, die extremistische Positionen vertreten. Doch das allein rechtfertigt nicht, die gesamte Partei entsprechend zu klassifizieren. Es ist entscheidend zu analysieren, ob diese Strömungen die Mehrheit bilden und den Kurs der Partei bestimmen. Meiner Einschätzung nach ist das nicht der Fall.

IW: Sie verwenden den Begriff „semi-extremistisch“ in Bezug auf die AfD. Können Sie das näher erläutern?

Jesse: Der Begriff „semi-extremistisch“ beschreibt eine politische Kraft, die sowohl demokratische als auch extremistische Elemente in sich vereint. Die AfD ist ein Sammelbecken verschiedener Strömungen: wirtschaftsliberale, nationalkonservative, ordnungsbewusste, populistische, verschwörungsmythische, nationalistische und völkische Positionen sind vertreten.

Darunter befinden sich auch Extremisten, die mit demokratischen Prinzipien hadern oder sie negieren. Doch entscheidend ist, ob diese Extremisten die Mehrheit bilden und den Kurs der Partei bestimmen. Meiner Einschätzung nach ist das nicht der Fall.

Demonstration gegen die AfD vor dem Bundestag – Während der Verfassungsschutz die Partei schärfer beobachtet, weist Jesse darauf hin, dass weder das Führungspersonal noch die Mehrheit der Mitglieder extremistisch seien – ein klarer Kontrapunkt zur politischen Stimmung.

IW: Der Verfassungsschutz hat ein 1.100-seitiges Gutachten erstellt, das jedoch unter Verschluss gehalten wird. Sie kritisieren diese Intransparenz. Warum?

Jesse: In einer Demokratie ist Transparenz ein hohes Gut. Wenn der Verfassungsschutz eine Partei als extremistisch einstuft, sollte die Begründung dafür öffentlich zugänglich sein.

Nur so können Bürgerinnen und Bürger die Entscheidung nachvollziehen und sich eine eigene Meinung bilden. Die Geheimhaltung des Gutachtens steht diesem Prinzip entgegen und untergräbt das Vertrauen in staatliche Institutionen.

IW: Sie haben sich auch zu den politischen Folgen der Einstufung geäußert. Welche Auswirkungen sehen Sie?

Jesse: Die Einstufung hat weitreichende politische Konsequenzen. Sie führt zu einer weiteren Isolierung der AfD im parlamentarischen Betrieb, etwa durch den Ausschluss von Ausschussvorsitzen. Zudem wird die Diskussion über ein mögliches Parteiverbot neu entfacht.

Doch ein Verbotsverfahren ist ein scharfes Schwert, das nur in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen sollte. Bei der AfD sehe ich derzeit nicht die Voraussetzungen dafür erfüllt.

IW: Wie sollte die politische Auseinandersetzung mit der AfD Ihrer Meinung nach geführt werden?

Jesse: Die Auseinandersetzung sollte politisch und argumentativ erfolgen, nicht durch staatliche Maßnahmen wie Beobachtung oder gar Verbote.

Es ist Aufgabe der demokratischen Parteien, sich mit den Positionen der AfD auseinanderzusetzen und die Wählerinnen und Wähler von ihren eigenen Konzepten zu überzeugen. Eine lebendige Demokratie lebt vom Wettbewerb der Ideen, nicht von der Ausgrenzung unbequemer Meinungen.

IW: Herr Professor Jesse, vielen Dank für das Gespräch.


Eckhard Jesse ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Technischen Universität Chemnitz und gilt als einer der renommiertesten Extremismusforscher Deutschlands. Er war unter anderem als sachverständiger Dritter in den beiden NPD-Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht tätig.

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