Ein Land, das keiner mehr auf der Rechnung hatte
Italien, das ewige Sorgenkind der Eurozone – jahrzehntelang stand es für politische Krisen, wackelige Banken und endlose Haushaltsdefizite. Heute schreiben dieselben Ökonomen, die das Land schon abgeschrieben hatten, plötzlich anerkennend über Rom.
Denn Melonis Regierung könnte bereits in diesem Jahr das Defizitziel von drei Prozent erreichen – und damit früher als geplant. Ein Wendepunkt, der an Symbolkraft kaum zu übertreffen ist: Ausgerechnet Italien erfüllt wieder die europäischen Haushaltsregeln, während Frankreich sie bricht.
Der neue Ton in Rom
Als Giorgia Meloni 2022 antrat, galt sie vielen als Risiko für die Stabilität Europas. Drei Jahre später sitzt sie fester im Sattel als jeder italienische Premier seit Langem. Ihre Partei gewinnt Regionalwahlen, die Koalition hält – ein seltenes Schauspiel in der römischen Politik.
„Rom ist heute stabiler als Paris“, sagt Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.
Und er hat recht: Während in Frankreich der fünfte Premierminister in zwei Jahren versucht, eine Regierung zusammenzuhalten, wirkt Italien auf einmal planbar, berechenbar – fast langweilig.
Märkte applaudieren
Diese neue Berechenbarkeit bleibt auch an den Finanzmärkten nicht unbemerkt. Der Risikoaufschlag italienischer Staatsanleihen gegenüber deutschen Papieren ist auf 0,8 Prozentpunkte gesunken – der niedrigste Wert seit Jahren. Die Ratingagentur Fitch hat Italiens Bonität jüngst heraufgestuft, Frankreich dagegen herab.
Ein Paradigmenwechsel, der zeigt: Stabilität zahlt sich aus. Und Meloni weiß das. Sie spricht mittlerweile weniger von nationalem Stolz als von fiskalischer Vernunft. Für italienische Verhältnisse ist das fast schon eine Revolution.
Woher der finanzielle Spielraum kommt
Italiens verbesserte Haushaltslage beruht auf zwei Säulen. Erstens: Die Inflation hat die Steuereinnahmen steigen lassen. Viele Italiener zahlen nun höhere Sätze, was den Staat entlastet. Zweitens: Der Schuldendienst ist günstiger geworden, weil Investoren wieder Vertrauen fassen.
Hinzu kommt der Milliardenregen aus Brüssel. Rund 195 Milliarden Euro fließen aus dem EU-Wiederaufbaufonds nach Italien – ein Konjunkturprogramm, das Wachstum bringt und die Kassen füllt. Ohne dieses Geld sähe die Bilanz allerdings weniger rosig aus. 2027 endet die Förderung, dann muss Rom zeigen, dass seine Disziplin auch ohne Hilfen hält.

Das alte Problem bleibt
So beeindruckend die Zahlen klingen – Italiens größtes Problem bleibt das Wachstum. Die Wirtschaft stagniert seit Jahren, die Produktivität ist niedrig, die Bevölkerung altert. Für 2025 erwartet Rom ein Miniwachstum von 0,5 Prozent, für 2026 von 0,7 Prozent.
Die Schuldenquote – aktuell bei knapp 138 Prozent des BIP – dürfte bis 2027 sogar noch leicht steigen. Erst danach soll sie langsam sinken. „Italien hat gelernt, hohe Schulden tragfähig zu halten, aber nicht, sie abzubauen“, sagt ZEW-Ökonom Heinemann. Ein Satz, der den Kern trifft.
Frankreich taumelt – Italien hält Kurs
Während in Paris die Neuverschuldung auf fast sechs Prozent steigt, zieht Italien die Reißleine. Und während Frankreichs Regierung wackelt, wirkt Melonis Kabinett fast schon nordisch diszipliniert.
Ihr pro-europäischer Kurs überrascht selbst Kritiker. Sie erfüllt Brüsseler Auflagen, nutzt EU-Gelder effizient und vermeidet offene Konflikte. Für eine Politikerin, die einst gegen das Establishment kämpfte, ist das ein bemerkenswerter Wandel.
Stabil – aber auf Zeit
Italien hat sich in erstaunlich kurzer Zeit neu sortiert. Das Land wirkt ruhiger, berechenbarer, seriöser. Die Finanzmärkte danken es, Europa atmet auf. Doch die strukturellen Probleme bleiben: zu wenig Wachstum, zu viel Bürokratie, zu viel Abhängigkeit von EU-Geldern.
Noch trägt Giorgia Meloni das Etikett der Stabilität mit Stolz. Doch sie weiß: Stabilität ist kein Zustand – sie ist ein Moment. Und in Italien dauern solche Momente selten lange.
Rom steht – aber das Fundament bleibt fragil.
