Ein Brückenbau als Verteidigungsausgabe
Wer in Rom derzeit über Infrastruktur spricht, meint meist nicht Straßen oder Schienen, sondern Verteidigung. Genauer gesagt: eine Brücke, die noch nicht existiert – aber bereits seit Jahrzehnten Schlagzeilen macht.
3,3 Kilometer Spannweite, zwei Türme höher als der Eiffelturm und Kosten von über 13 Milliarden Euro: Die Brücke über die Straße von Messina, die das italienische Festland mit Sizilien verbinden soll, ist eines der ambitioniertesten Infrastrukturprojekte Europas. Und eines der umstrittensten.
Jetzt soll der Bau endlich beginnen – mit einem kreativen Kniff, den selbst römische Senatoren als „akrobatisch“ bezeichnen: Die Regierung Giorgia Meloni will das Projekt als militärisch deklarieren, um es als Beitrag zum Nato-Aufrüstungsziel zu verbuchen.
Wie aus einem Infrastrukturtraum ein Verteidigungsprojekt wird
Die NATO fordert, dass ihre Mitglieder bis 2035 fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung investieren – Italien liegt mit 1,49 Prozent bislang weit darunter.
Doch die Regeln lassen Spielraum: Nur 3,5 Prozent müssen tatsächlich in Waffen, Truppen oder Systeme fließen. Der Rest – immerhin 1,5 Prozent – darf für „strategische Resilienz“ genutzt werden. Also für Infrastruktur, die im Ernstfall auch militärisch nutzbar wäre.
Und hier kommt die Brücke ins Spiel.
Verkehrsminister Matteo Salvini und Außenminister Antonio Tajani argumentieren, dass die Verbindung zwischen Kalabrien und Sizilien im Krisenfall für den schnellen Transport von Nato-Truppen, Panzern und Material unverzichtbar sein könnte.

Ein Regierungsdokument vom April stuft die Brücke sogar offiziell als „Schlüsselinfrastruktur für die nationale und internationale Sicherheit“ ein. In der Theorie könnte sie damit Teil des EU-Finanzrahmens für militärische Mobilität werden.
Militärischer Nutzen – oder politisches Feigenblatt?
Doch die Idee ist nicht unumstritten. Kritiker sprechen von einer politischen Mogelpackung. Giuseppe Antoci, Europaabgeordneter der Fünf-Sterne-Bewegung, nennt das Vorhaben eine „Verhöhnung der Nato und der italienischen Bevölkerung“.
Und tatsächlich: Die offiziell ausgewiesenen Nato-Korridore für militärische Truppenbewegungen führen nicht über die Straße von Messina, sondern verlaufen über Apulien, Albanien und Bulgarien nach Osteuropa.
Selbst innerhalb der Nato wird die Einstufung der Brücke als Verteidigungsausgabe skeptisch betrachtet. Auf Nachfrage beim jüngsten Gipfel in Den Haag sollen US-Vertreter laut Medienberichten lediglich geschmunzelt haben.
Der alte Traum, neu verpackt
Der Plan, Sizilien ans Festland anzubinden, ist älter als die Republik Italien. Bereits unter Mussolini wurde darüber nachgedacht. Berlusconi versprach den Baubeginn mehrfach, legte die Pläne dann wieder auf Eis. Seitdem wird die Brücke regelmäßig zur Projektionsfläche politischer Ambitionen – und finanzieller Unmöglichkeiten.
Denn der Bau ist nicht nur teuer, sondern auch technisch anspruchsvoll. Die Straße von Messina liegt in einem seismisch aktiven Gebiet, ist über 70 Meter tief und stark frequentiert durch Schifffahrt. Zusätzlich müssten zahlreiche Anwohner in Kalabrien und auf Sizilien umgesiedelt werden – mit entsprechenden Klagewellen.
Genau diese juristischen Hürden will die Regierung mit der Einstufung als Sicherheitsprojekt nun umgehen. Der Vorteil: Weniger Umweltauflagen, weniger Mitsprache durch Regionen und Kommunen – mehr Entscheidungsfreiheit für Rom.
Realistische Mobilitätslösung – oder Symbolpolitik?
Doch selbst ohne juristische Klippen bleibt die Frage: Braucht es diese Brücke wirklich?
Sizilien und Kalabrien gehören zu den ärmsten Regionen Italiens. Die lokalen Straßen und Bahnverbindungen gelten als marode, die öffentlichen Dienstleistungen als unterfinanziert. Oppositionsparteien werfen der Regierung vor, auf Prestige statt auf Substanz zu setzen.
„Die Menschen in Messina stehen täglich im Stau, weil die Regionalzüge nicht fahren. Aber wir bauen lieber eine Brücke, über die dann niemand fahren kann“, so ein Regionalpolitiker aus Palermo.
Tatsächlich hat der Brückenbau keinen erkennbaren Vorrang in den nationalen Infrastrukturprogrammen Italiens – bis jetzt. Die Regierung will im Juli die endgültige Genehmigung vorlegen. Auch wenn damit noch lange kein Bagger rollt.
Ein Name, der Fragen aufwirft
Für zusätzliche Irritation sorgte ein PR-Vorschlag von Außenminister Tajani: Die Brücke solle nach Silvio Berlusconi benannt werden – jenem Ex-Premier, der für seine Prozesse und Skandale ebenso bekannt war wie für große Worte und kleine Resultate. Dass ein solch umstrittenes Symbol zum Namensgeber eines Verteidigungsprojekts wird, sorgt selbst in konservativen Kreisen für Kopfschütteln.
Zwischen Beton und Budgetlogik
Der Fall zeigt beispielhaft, wie flexibel europäische Regierungen mittlerweile auf die gestiegenen Rüstungsvorgaben reagieren. Infrastruktur wird umetikettiert, politische Projekte erhalten einen militärischen Anstrich, Verteidigungsausgaben werden kreativ gebucht. Italien ist dabei kein Einzelfall – aber besonders ambitioniert.
Ob die Nato diesen Vorstoß akzeptiert, ist offen. Ob die Brücke je gebaut wird – noch viel mehr. Aber eines ist klar: Die Diskussion ist symptomatisch für die neue Rhetorik in Europa. Wo früher von Verkehr und Wirtschaft die Rede war, geht es heute um Resilienz, Sicherheit, Mobilität – und manchmal auch einfach nur ums Geld.
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