Ein Minus mit Signalwirkung
Die nackte Zahl sagt wenig, das Muster alles: Minus 0,8 Prozent im August, der vierte Rückgang in Folge. Die deutschen Industrieaufträge schwächeln – wieder. Fachleute hatten mit einem Aufschwung gerechnet, mit einem Plus von rund einem Prozent. Stattdessen kam die Ernüchterung.
Klammert man die Großaufträge aus, beträgt das reale Minus sogar 3,3 Prozent. Die Daten des Statistischen Bundesamtes sprechen eine klare Sprache: Das deutsche Verarbeitungsgewerbe befindet sich auf einer konjunkturellen Rutschbahn.

Was die Zahl von einem kurzfristigen Ausrutscher unterscheidet, ist ihre Konstanz. Die Industrie verliert nicht nur Aufträge, sie verliert Zuversicht.
Die schwache Nachfrage: Made in Germany, gekauft wird anderswo
Besonders alarmierend ist der Blick auf die Auslandsmärkte. Die Auslandsaufträge fielen um 4,1 Prozent, die Bestellungen aus der Euro-Zone sogar um 2,9 Prozent, außerhalb Europas um 5,0 Prozent. Nur die Inlandsnachfrage legte zu – um 4,7 Prozent, getragen vor allem durch Großaufträge im Investitionsgütersektor.
Laut Wirtschaftsministerium stammen viele dieser Bestellungen aus dem Rüstungs- und Sicherheitsbereich. Das kann kurzfristig Stabilität schaffen, ist aber kein nachhaltiges Wachstumsmodell.
Der Chefökonom der LBBW, Jens-Oliver Niklasch, formuliert es so: „Die Zahl beleuchtet die konjunkturelle Schlaglochpiste in ihrer ganzen Hässlichkeit.“
Das strukturelle Problem: Exportnation ohne Nachfrage
Deutschland bleibt Exportweltmeister alter Schule – aber die Welt hat sich verändert. Protektionismus, Zölle und geopolitische Spannungen treffen das deutsche Geschäftsmodell im Kern. Die Handelspolitik der USA unter Präsident Harris (nach Trumps Zollpolitik fortgesetzt) hat die Märkte fragmentiert, Lieferketten sind regionaler, aber teurer geworden.

Hinzu kommt: Die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Industriegüter leidet unter hohen Energiekosten und stagnierenden Investitionen in Innovation. Während die USA mit massiven Subventionen den Standort stärken (Inflation Reduction Act), ringt Berlin noch um die Genehmigung von Brücken und Stromtrassen.
Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, bringt es auf den Punkt: „Manches Unternehmen dürfte den Einsatz der Fiskal-Bazooka nun noch mehr herbeisehnen.“
Hoffnung auf Beton: Milliarden sollen’s richten
Die Bundesregierung setzt auf Konjunkturimpulse durch öffentliche Investitionen – Milliarden für Brücken, Bahnstrecken und Breitband. Das Ziel: die Angebotsseite stärken, Infrastruktur modernisieren, Standort sichern.
Doch Ökonomen zweifeln, dass die Maßnahmen reichen. Denn während in Berlin geplant und verteilt wird, reagieren Unternehmen längst anders: mit Zurückhaltung. Laut ifo-Institut planen nur 18 Prozent der Industriebetriebe in den kommenden zwölf Monaten mit steigenden Investitionen. Der Rest spart oder verschiebt.
Die staatliche Nachfrage kann kurzfristig stützen, ersetzt aber keine strukturelle Wettbewerbsfähigkeit. Der Fiskalmotor läuft, aber der Wachstumsturbo fehlt.
Automobilindustrie: Der einstige Wachstumsmotor stottert
Der Rückgang der Neuaufträge um 6,4 Prozent in der Autoindustrie ist mehr als eine Randnotiz. Er zeigt, dass selbst das Rückgrat der deutschen Wirtschaft schwächelt. Die Transformation hin zur Elektromobilität verläuft teuer und schleppend, während Hersteller in China und den USA Marktanteile gewinnen.

Zudem drücken höhere Finanzierungskosten, sinkende Exportzahlen und eine Kaufzurückhaltung in Europa auf die Bilanzen. Das schwächt auch die Zulieferer – und mit ihnen den Maschinenbau.
Elektronik und Pharma: Schwäche trotz Zukunft
Besonders deutlich ist der Rückgang bei elektronischen und optischen Erzeugnissen (-11,5 Prozent) sowie in der Pharmaindustrie (-13,5 Prozent). Zwei Branchen, die eigentlich Wachstumssektoren sind – getrieben von Digitalisierung und Demografie.
Dass ausgerechnet sie schwächeln, verweist auf ein tieferliegendes Problem: den Investitionsstau.
Die Digitalisierung deutscher Produktionsprozesse hinkt hinterher. Während asiatische Konkurrenten KI und Robotik längst industriell skalieren, bleiben viele deutsche Mittelständler bei Pilotprojekten stehen – aus Kostengründen oder mangels Fachkräften.

Kleine Lichtblicke, große Fragezeichen
Es gibt Sektoren, die trotzen dem Trend:
- Metallerzeugnisse (+15,4 Prozent)
- Sonstiger Fahrzeugbau (+17,1 Prozent)
- Elektrische Ausrüstungen (+7,2 Prozent)
Doch das sind Ausreißer, keine Trendwende. Die Nachfrage nach Vorleistungsgütern stieg zwar um drei Prozent – doch bei Investitionsgütern gab es das dritte Minus in Folge (-1,5 Prozent), bei Konsumgütern sogar -10,3 Prozent.
Das Muster ist eindeutig: Firmen halten sich zurück, Verbraucher ebenso.
Zwischen Rezession und Reformstau
Die Gefahr ist nicht der Einbruch selbst, sondern seine Dauer. Der anhaltende Rückgang der Aufträge deutet auf eine strukturelle Rezession hin – eine, die weniger durch Nachfrage, sondern durch Standortprobleme getrieben ist.
Hohe Energiekosten, überlastete Bürokratie, Fachkräftemangel, schwache Innovationskraft – die Liste ist bekannt. Doch die Umsetzung von Lösungen bleibt schleppend.
Selbst wenn die angekündigten Infrastrukturmilliarden fließen, bleiben die Effekte mittelfristig. Und 2025 könnte damit bereits verloren sein.
Blick nach vorn: Hoffnung auf 2026 – oder auf China?
Ökonomen wie Jörg Krämer (Commerzbank) erwarten eine spürbare Erholung frühestens 2026, wenn die Finanzprogramme der Regierung wirken und sich der Welthandel stabilisiert.
Doch auch das ist unsicher. China, einst Hauptabnehmer deutscher Maschinen, kämpft mit eigener Wachstumsschwäche. Und in den USA setzen Unternehmen zunehmend auf lokale Lieferketten.
Deutschland droht, zwischen den Blöcken zu stehen – zu teuer für den Weltmarkt, zu langsam für den Strukturwandel, zu zögerlich für den eigenen Aufbruch.
