Inmitten der schlichten Wohnkomplexe aus den 1950er Jahren steht Heidelberg vor einem großen Wandel: Etwa die Hälfte der 169 Wohnbauten auf dem Areal des ehemaligen US-Militärgeländes Patrick-Henry-Village (PHV) wird dem Erdboden gleichgemacht - ein nachhaltiges Großprojekt mit dem Ziel, die anfallenden Bauressourcen fast gänzlich zu recyceln. Angestrebt wird eine Wiederverwertungsquote von 90 Prozent, wie der Erste Bürgermeister Jürgen Odszuck erläutert. Über ein detailliertes Kataster wurden insgesamt etwa 466.000 Tonnen an Baumaterialien erfasst, um auch künftig eine zirkuläre Verwertung von Baustoffen zu ermöglichen. Damit setzt die Stadt einen neuen Meilenstein im Bereich des Urban Mining.
Das Vorhaben in Heidelberg wird von Experten und Wirtschaftswissenschaftlern als wegweisend erachtet. Sarah Lichtenthäler, Ökonomin am Institut der Deutschen Wirtschaft, und Felix Müller vom Umweltbundesamt erkennen in der systematischen Herangehensweise der Stadt eine herausragende Initiative. Urban Mining ist zudem ein Handlungsfeld der Bundesregierung, welche eine nationale Strategie für den Umgang mit städtebaulichen Rohstoffen verfolgt.
Die Baubranche spielt bei der ambitionierten Aufgabe eine entscheidende Rolle, da gerade mineralische Baustoffe wie Naturstein oder Kalkstein wertvolle Ressourcen darstellen. Das Projekt in Heidelberg wurde zusammen mit der Bauberatungsfirma Drees & Sommer, dem Forschungsinstitut Epea sowie Heidelberg Materials entwickelt. Hierbei steht nicht nur die Wiederverwendung von Baumaterialien wie Beton oder Ziegel im Fokus, sondern auch ein bewusster Umgang mit den vorhandenen Bodenschätzen und die Preisentwicklung auf dem Rohstoffmarkt.
Der Zentralverband der Deutschen Bauwirtschaft hebt hervor, dass wiedergewonnene mineralische Baustoffe etwa im Straßenbau nützlich eingesetzt werden können. Jedoch deckt das aktuelle Angebot nur einen Bruchteil der Nachfrage. Trotzdem lobt Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa den Ansatz Heidelbergs und betont die Bedeutung digitaler Lösungen für die sichtbare Darstellung von Potenzialen innerhalb der urbanen Mine.
Die Basisdaten für das Recyclingprojekt lieferten bereits vorhandene Gebäudesteckbriefe, die durch digitale Verfahren, wie den Urban Mining Screener, ergänzt wurden. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen weiter präzisiert werden, um das Vorhaben zu konkretisieren. Kosteneinsparungen stehen dabei laut Odszuck zunächst nicht im Vordergrund. Vielmehr sei es ein ambitioniertes Projekt auf einem noch experimentellen Niveau.
Die Ökonomin Lichtenthäler sieht über die praktische Umsetzung hinaus Entwicklungschancen: Das erstellte Kataster kann als Wissensbasis dienen, um Bauprozesse in Hinblick auf zukünftige Ressourcengewinnung zu optimieren. Die gewonnenen Daten könnten aufzeigen, welche Materialien aus welchen Gebäuden erfolgreich recycelt wurden, was wiederum die Grundlage für zukunftsweisende Lernprozesse bildet.