Die neue Suchmaschine
Kein schüchternes Experiment mehr, sondern eine strategische Neuausrichtung: Google beginnt, seine Suchmaschine vollständig auf künstliche Intelligenz umzustellen.
Auf der Entwicklerkonferenz I/O 2025 kündigte der Konzern nicht nur einen Rollout des neuen „AI Mode“ für Nutzer in den USA an, sondern auch eine langfristige Vision: eine Welt, in der die Suche kontextabhängig, proaktiv und multimedial funktioniert – und sich nicht mehr wie eine bloße Stichwortabfrage anfühlt.
„Searching starts to feel effortless“, sagt Liz Reid, die neue Chefin von Google Search – und meint damit: Die Nutzer sollen künftig mit Google sprechen können wie mit einem Menschen. Aber nicht irgendeinem Menschen, sondern mit einem allwissenden, geduldigen, stets abrufbaren Wissensagenten.
AI Mode: Die Suche wird zum Dialog
Kernstück der Offensive ist der sogenannte AI Mode, ein eigener Tab, der parallel zur klassischen Google-Suche existiert. Er bietet nicht nur kurze Zusammenfassungen („Overviews“) wie bisher, sondern eine konversationsartige Antwortstruktur, die sich mit Folgefragen vertiefen lässt.
Technisch läuft dabei ein „Query Fan-Out“-System im Hintergrund, das gleich mehrere Abfragen gleichzeitig losschickt und die Ergebnisse intelligent bündelt.

Die Antworten stammen weiterhin aus Googles Index – aber die Art der Ausspielung erinnert an ChatGPT & Co.. Damit reagiert der Konzern nicht zuletzt auf die wachsende Konkurrenz: OpenAI, Microsoft, Meta und Amazon arbeiten ebenfalls an Assistenzsystemen, die Google sein bisheriges Suchmonopol streitig machen könnten.
Das Dilemma mit dem Werbegeschäft
Die Herausforderung für Google: Der Konzern muss innovativ sein, ohne sich selbst zu schaden. Der Großteil der Alphabet-Umsätze stammt weiterhin aus klassischer Suchwerbung.
Je stärker die Nutzer auf generative Antworten und KI-basierte Zusammenfassungen setzen, desto weniger klicken sie auf bezahlte Links – ein reales Risiko für das Geschäftsmodell.
Der AI Mode läuft daher zunächst parallel, nicht standardmäßig. Doch intern testet Google bereits, wie Nutzerverhalten und Werbeerträge auf die neue Suchstruktur reagieren. Der Plan ist klar: Sollte sich das KI-Interface bewähren, könnte es in wenigen Jahren zur neuen Norm werden.
Project Astra: Wenn Google sieht, was du siehst
Parallel zur Such-Innovation treibt Google ein weiteres Zukunftsprojekt voran: Project Astra. Dabei handelt es sich um eine KI, die über Kamera-Input in Echtzeit erkennen kann, was sich vor dem Nutzer befindet – etwa über ein Smartphone oder AR-Brille – und unmittelbar Informationen liefert.
Diese Idee erinnert an Apples „Vision Pro“ oder Metas Ray-Ban-KI-Brillen – doch Google setzt auf Tiefe statt Showeffekte. Die „Gemini“-Modelle, die jetzt in Version 2.5 als sogenannte „World Models“ präsentiert wurden, sollen nicht nur verstehen, sondern auch plausible Handlungen und Empfehlungen ableiten können.
CEO Sundar Pichai spricht von einer „total reimagining of Search“ – tatsächlich bewegt sich Google gerade vom Suchfeld zum digitalen Co-Piloten.
Gemini Live, Deep Search, Veo 3 – Googles KI-Baukasten
Neben dem AI Mode zeigt Google weitere Prototypen, die in den kommenden Monaten in Testläufen erprobt werden:
- Gemini Live soll Bildschirmfreigaben und Kameraeinspeisung kombinieren, um live zu assistieren.
- Deep Search liefert tief recherchierte Berichte mit Quellenangaben – für besonders komplexe Fragen.
- Veo 3, das neue Videomodell, soll erstmals auch Soundeffekte generieren und kombiniert Bild, Ton und Text.
All das fließt zurück in Googles Apps – personalisiert, abgestimmt auf den Suchverlauf, und zunehmend mit Zugriff auf andere Dienste wie Maps, Mail oder Docs. Die Idee: ein universeller KI-Assistent, der überall dabei ist und nicht nur reagiert, sondern auch agiert.
Die nächste Phase: Kontrolle oder Kontrollverlust?
So ambitioniert Googles Zukunftsplan wirkt, so hoch ist der Preis: Datenschutz, Werbedruck und Abhängigkeit vom Konzernimperium bleiben zentrale Fragen. Wer der KI künftig Zugriff auf Suchhistorie, Kalender, Mails und Kamera gibt, muss Google mehr vertrauen als je zuvor.
Die Vision vom „effortless search“ ist faszinierend – aber auch eine Einladung zur Totalintegration. Wer das Internet künftig mit Google-Augen sieht, wird es auch nach Googles Logik verstehen.
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