Wenn der Taxischreck übernimmt
Die Ironie ist kaum zu übersehen: Jahrzehntelang verkörperten BMW und Mercedes das Ideal deutscher Ingenieurskunst, bauten Premiumautos und versuchten, das Image des perfekten Fahrens gleich mitzuliefern.
Doch ausgerechnet im Zukunftsfeld der urbanen Mobilität geben die beiden Hersteller jetzt kleinlaut auf. Für gerade einmal 175 Millionen Euro verkaufen sie ihre Plattform Freenow – einst als Hoffnungsträger einer mobilitätsgetriebenen Ära gefeiert – an Lyft, den ewigen Zweiten hinter Uber in den USA.
Für BMW und Mercedes ist es das Eingeständnis eines milliardenschweren Scheiterns. Für Lyft: ein riskanter Schritt auf unbekanntes Terrain.
Milliardengrab mit Ansage
Der Traum begann 2019. Unter dem Label „YourNow“ wollten Daimler und BMW mit Mobilitätsdiensten wie ParkNow, ShareNow und eben Freenow nichts weniger als den städtischen Verkehr revolutionieren – mit smarter Software statt Blech.
Doch die Realität war bitter: Die Plattformen verbrennen über Jahre hinweg Geld, die Strategien ändern sich, die Kunden bleiben aus. Laut veröffentlichten Zahlen machte Freenow allein 2021 und 2022 zusammen über eine Milliarde Euro Verlust.
Was von außen wie ambitionierte Zukunftsplanung aussah, war intern offenbar ein unübersichtliches Konglomerat aus unklarer Führung, gegensätzlichen Konzerninteressen – und einer schwachen Plattform.
Lyft übernimmt – aber warum eigentlich?
Die Antwort ist komplexer als es zunächst scheint. Lyft, gegründet 2012, ist in den USA längst zum Synonym für urbane Fahrdienste geworden – wenn auch immer in Ubers Schatten. Der Konzern leidet unter sinkenden Margen, wachsenden Lohnforderungen und dem heraufziehenden Wettstreit mit autonomen Robotaxis.
Mit Freenow holt sich CEO David Risher nun Zugriff auf ein funktionierendes Netzwerk in Europa – mit knapp 180 Städten in neun Ländern. Der Clou: Freenow vermittelt nicht nur Fahrdienste, sondern arbeitet eng mit klassischen Taxizentralen zusammen. Genau das, was Lyft in den USA eher bekämpft als integriert.

Zwei Kulturen, ein Unternehmen – kann das gutgehen?
Freenow-CEO Thomas Zimmermann gibt sich betont gelassen. Der Deal sei „partnerschaftlich“ gelaufen, das „Mindset“ zwischen Lyft und Freenow sei überraschend ähnlich. Doch wer zwischen den Zeilen liest, merkt: Die kulturellen Unterschiede könnten kaum größer sein.
Während Lyft für aggressives Silicon-Valley-Wachstum, schnelle Produktzyklen und hartes Kostenmanagement steht, agiert Freenow bislang eher als digitalisierte Ergänzung zum bestehenden Taxigewerbe. Wo Lyft auf autonome Fahrzeuge setzt, betont Zimmermann die Bedeutung der „Fahrerbedürfnisse“.
Spätestens wenn Lyft wie angekündigt mit Baidu-Robotaxis in Europa durchstarten will – schon 2026 –, dürfte dieser Spagat zum Stresstest werden.
Lyft will mehr – und zwar schnell
Lyft-CEO Risher gilt als durchsetzungsstark, im Zweifel auch gnadenlos. In den USA ist er bekannt dafür, Lohnerhöhungen für Fahrer kategorisch abzulehnen, auch wenn die Gewerkschaften Druck machen. Wer glaubt, Freenow bleibe unter dem neuen Besitzer langfristig ein gemütliches europäisches Mobilitätslabor, dürfte sich täuschen.
Denn Lyft steht selbst unter massivem Druck: Die Konkurrenz durch Waymo, Uber und selbst chinesische Anbieter wie Didi oder Baidu zwingt den Konzern, neue Umsatzquellen zu erschließen. Europa ist für Lyft also kein netter Zusatzmarkt, sondern Teil einer notwendigen Expansionsstrategie. Und Freenow? Nur ein Mittel zum Zweck?
Steht Freenow eine stillschweigende Zerschlagung bevor?
Noch klingt alles friedlich. Der Name Freenow bleibt, ergänzt um „by Lyft“. Das Team bleibt ebenfalls, sagt Zimmermann. Aber selbst er weiß: Das kann sich schnell ändern.
Der Hamburger CEO deutet bereits an, dass mittelfristig auch eine einheitliche globale Marke denkbar sei – ein stiller Abgesang auf das eigenständige Freenow, sollte die Integration Fahrt aufnehmen.
Zudem bleibt die Frage offen, wie lange Lyft sich mit Freenows betont partnerschaftlichem Kurs gegenüber dem Taxigewerbe zufrieden gibt. Dass ausgerechnet ein Unternehmen, das sich in den USA jahrelang juristische Scharmützel mit Taxiverbänden geliefert hat, plötzlich europaweite Kooperationen mit ihnen eingeht, wirkt nicht nur widersprüchlich – es riecht nach Übergangstaktik.
Ein europäisches Labor für amerikanische Ambitionen
Freenow wird zum Experimentierfeld. Eine Art Probelauf für Lyfts Pläne in hochregulierten, fragmentierten Märkten. Der Angriff auf Europas urbane Mobilität hat begonnen – nur diesmal nicht mit deutschen Autos, sondern mit amerikanischem Kapital und chinesischer Robotaxitechnologie.
Und während BMW und Mercedes sich wieder ihrem Kerngeschäft widmen, steht in Hamburg ein Unternehmen, das beweisen muss, dass Profitabilität und Partnerschaft mit Fahrern kein Widerspruch sind. Thomas Zimmermann ist ein erfahrener Manager – doch ob sein Spagat zwischen Lyft-Wachstumsdruck und europäischer Realität dauerhaft gelingt, ist alles andere als sicher.
Das könnte Sie auch interessieren:
