Der Einstieg in die Arbeitswelt gelingt immer seltener
In Berlin ist inzwischen fast jeder zehnte unter 25 arbeitslos – das sind über 61.000 junge Menschen. Und das in einem Land, das händeringend Azubis sucht. Bundesweit stehen 397.000 Ausbildungsplätze nur 294.000 Bewerbern gegenüber.
Die Diskrepanz ist offensichtlich. Die Konsequenz: 271.000 arbeitslose Jugendliche, Tendenz steigend. Seit 2022 ist die Zahl um rund 40 Prozent nach oben geschossen – fast doppelt so schnell wie die allgemeine Arbeitslosigkeit.
Dass ein Überangebot an Ausbildungsplätzen auf einen Rekordwert bei jugendlicher Arbeitslosigkeit trifft, ist kein neues Paradox, aber ein wachsendes Problem. Die Gründe liegen tiefer – in Bildung, Kultur, Sprache, Sozialpolitik. Und sie sind brisanter denn je.
Wer nichts tut, fällt durchs Raster – oder ins System
Was viele Statistiken nicht direkt abbilden: Ein beträchtlicher Teil junger Menschen taucht gar nicht erst im Arbeitsmarkt auf. Laut Bundesagentur für Arbeit gibt es aktuell rund 630.000 sogenannte NEETs – Jugendliche, die weder zur Schule gehen, noch studieren oder arbeiten. Diese „verlorene Generation“ ist längst nicht mehr nur ein Phänomen prekärer Milieus.
„Viele junge Leute leben in Parallelwelten – egal ob aus migrantischen Familien oder aus Wohlstandshaushalten“, sagt Christoph Möller, Leiter der Arbeitsagentur Berlin-Charlottenburg.
Zwischen Gelegenheitsjob, digitalem Rückzug und Karriereillusion verschwimmt der Übergang ins Erwerbsleben.
Migration als Faktor – aber nicht als Sündenbock
Besonders hoch ist die Jugendarbeitslosigkeit unter jungen Geflüchteten. Von den rund 79.000 zusätzlichen jugendlichen Arbeitslosen seit Februar 2022 sind 43.000 ausländischer Herkunft.
Fehlende Sprachkenntnisse, keine Abschlüsse, kulturelle Unsicherheiten – aber auch unklare Bleibeperspektiven erschweren die Integration.
Viele ukrainische Geflüchtete hatten ursprünglich gehofft, bald wieder heimkehren zu können. Jetzt, da die Perspektive sich ändert, wächst zwar die Jobbereitschaft – aber oft fehlen passende Angebote und Begleitung.

Das Problem: Nicht nur ukrainische Jugendliche bleiben hängen. Auch inländische Jugendliche ohne Ausbildung rutschen direkt ins Bürgergeld.
Das System will helfen – doch es erreicht zu wenige
Die Bundesregierung hat 2024 eine „Ausbildungsgarantie“ eingeführt, die jungen Menschen das Recht auf einen Ausbildungsplatz sichern soll. Die Realität? Ernüchternd.
Die Nachfrage nach den geförderten Plätzen blieb gering. Die Probleme heißen Passungsprobleme, fehlende Mobilität, Imageverlust handwerklicher Berufe – und mangelnder Wille.
„Zwingen können wir niemanden“, sagt Möller. Und genau darin liegt ein Kernproblem. Wer sich verweigert, fällt durch – rechtlich, praktisch, sozial. Selbst Sanktionen wie das Streichen von Kindergeld greifen kaum. Die Folge: Ein wachsender Teil der Jugend entzieht sich jeder Form von Bindung an den Arbeitsmarkt.
Ein wachsendes Risiko für die sozialen Sicherungssysteme
Was wie ein individuelles Scheitern aussieht, ist längst ein strukturelles Problem – mit sozial- und finanzpolitischer Sprengkraft. Wer jung ins Bürgergeld rutscht, hat schlechtere Chancen auf Qualifizierung und langfristige Beschäftigung.
Die Folge: Früher Sozialhilfeempfänger, später Niedriglöhner oder Langzeitarbeitslose. Eine Abwärtsspirale, die das Rentensystem belastet und Fachkräfteengpässe verschärft.
Rund 2,9 Millionen Menschen unter 34 Jahren haben keine abgeschlossene Berufsausbildung – das entspricht fast 19 Prozent der Altersgruppe. Und es ist ein Negativrekord. In einer Gesellschaft mit immer weniger Erwerbstätigen und wachsendem Altersdurchschnitt ist das nicht tragbar.
Was fehlt: Verbindlichkeit – und vielleicht ein bisschen Druck
Das deutsche System setzt auf Freiwilligkeit, Angebote, Beratung – alles sinnvoll, aber oft zahnlos. Andere Länder gehen weiter. Österreich etwa verpflichtet Eltern seit 2016, ihre Kinder nach der Schulzeit in Ausbildung oder Weiterbildung zu bringen. Ein Modell, über das man auch in Deutschland ernsthaft sprechen müsste.
Denn eines ist klar: Fachkräftemangel, Migration und Bildungslücken werden nicht verschwinden. Die Frage ist, wie lange sich Deutschland noch leisten kann, den Einstieg junger Menschen in die Arbeitswelt dem Zufall – oder dem „Chillfaktor“ – zu überlassen. Wer die Jugend verliert, verliert am Ende den ganzen Arbeitsmarkt.
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