Politik ohne Hüllen – aber mit Botschaft?
Julien Ferrat steht splitterfasernackt am Strand. Nur ein selbstgebasteltes Schild mit dem Schriftzug „Die Mannheimer im Gemeinderat“ schützt vor vollständiger Entblößung. Was aussieht wie ein Scherz auf Social Media, erschien offiziell im Amtsblatt der Stadt Mannheim – mit einer Einladung zu einer achttägigen „politischen FKK-Swingerreise“ nach Südfrankreich.
Ziel der Reise: das weltberühmte Cap d’Agde, Mekka des europäischen Nackt- und Swingertourismus. Auf dem Programm stehen laut Ferrat nicht nur Clubbesuche, sondern auch Gespräche mit Vertreter:innen der Stadtentwicklung und des Tourismusbüros. Cap d’Agde sei ein gelungenes Beispiel dafür, wie „staatlich geplante Freizügigkeit lokales Wirtschaftswachstum erzeugen kann“.
Unkonventionell – oder einfach unangemessen?
Ferrat, 33, Einzelstadtrat der Wählergruppe „Die Mannheimer“, ist kein Unbekannter. Bereits im Vorjahr sorgte er mit einer „Nacktsprechstunde“ für Empörung – ebenfalls im Amtsblatt.
Diesmal geht er weiter: Er ruft nicht nur zur Teilnahme auf, sondern verknüpft sexpositiven Lifestyle mit kommunalpolitischem Bildungsauftrag.
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Für die CDU Mannheim ist die Grenze klar überschritten. Kreisvorsitzender Christian Hötting spricht von einem „Fremdschäm-Moment“ und nennt die Aktion „hirnverbrannt“. Zwar verzichtet die Partei auf ein offizielles Vorgehen – aus Angst, der Provokation zu viel Aufmerksamkeit zu verschaffen – doch der politische Schaden sei real:
„Das beschädigt das Ansehen des Gemeinderats.“
Wo bleibt die Grenze?
Der Vorfall wirft Fragen auf, die über Geschmack oder politische Stilfragen hinausgehen. Wie weit reicht die redaktionelle Freiheit von Mandatsträgern in amtlichen Publikationen? Und wann wird diese zu einem Vehikel für Selbstinszenierung?
Die Stadtverwaltung bleibt zurückhaltend. Beiträge im Amtsblatt würden grundsätzlich eigenverantwortlich durch die Mandatsträger verfasst. Eingriffe gebe es nur bei groben Regelverstößen – etwa Falschaussagen oder fehlendem kommunalen Bezug. Ein FKK-Urlaub mit „tourismuspolitischer Dimension“ fällt offenbar nicht darunter.
Provokation mit System
Ferrat selbst sieht sich als politischer Querdenker – im ursprünglichen Sinn. Er wolle zeigen, „dass Politik auch anders kann“. Warum jeder zweite Bundestagsabgeordnete Reisen nach Berlin anbiete, sei gesellschaftlich akzeptiert. Seine Reise sei eben nur eine andere Art von Politikvermittlung – mit Offenheit, Körperkontakt und einem Schuss Rebellion.
Der Vorstoß passt in eine größere Bewegung der „Alternativpolitiker“: Einzelpersonen, oft parteiunabhängig, die mit bewusstem Tabubruch Aufmerksamkeit erzeugen. Dabei geht es weniger um klassische Inhalte als um die mediale Sprengkraft der Aktion selbst. Die Politik wird zur Bühne, der Körper zum PR-Werkzeug.
Ernsthafte Fragen hinter dem Nacktprogramm
So absurd die Aktion auf den ersten Blick wirkt, so ernst ist die Debatte dahinter: Wie frei darf politische Kommunikation in offiziellen Kanälen sein? Wo endet persönliche Meinungsäußerung, wo beginnt der Missbrauch eines öffentlichen Informationsmediums? Und wie schützt sich eine Kommune vor gezielter Provokation, ohne Zensurvorwürfen zu begegnen?
Denn auch wenn die Aktion von Ferrat juristisch wohl unangreifbar bleibt – sie zeigt, wie leicht sich institutionelle Strukturen kapern lassen, wenn keine klaren Richtlinien bestehen. In Zeiten wachsender Polarisierung eine Schwäche, die politische Ordnungen langfristig destabilisieren kann.
Eine Nacktheit mit Signalwirkung
Ferrats Aktion ist ein kalkulierter Tabubruch – mit weltweitem Medienecho, steigendem Bekanntheitsgrad und mutmaßlich wenigen politischen Konsequenzen. Doch sie legt eine offene Wunde frei: Kommunale Kommunikation ist oft schlecht geschützt, politisch naiv – und angreifbar für Akteure, die Regeln eher kreativ auslegen.
Was bleibt, ist ein Bild: Ein nackter Politiker mit einem Pappschild – und eine Stadt, die sich fragt, wie sie das ins nächste Amtsblatt einordnen soll.
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