Wenn Entnahmen riskanter sind als schlechte Zinsen
Die klassische Zinswelt ist Geschichte – und für viele Ruheständler beginnt damit ein gefährliches Spiel: Wie lässt sich das hart erarbeitete Vermögen so strukturieren, dass es einerseits solide Erträge liefert, andererseits aber auch in schwankenden Börsenzeiten nicht zur schlaflosen Nacht führt?
In Zeiten niedriger Zinsen und hoher Inflation stehen besonders konservative Anleger vor einer unbequemen Wahrheit: Die vermeintliche Sicherheit traditioneller Anlageformen wie Sparbuch oder Tagesgeld ist trügerisch. Wer sein Geld nicht investiert, verliert – Jahr für Jahr, still und leise. Doch der Griff zur nächstbesten Alternative kann ebenfalls gefährlich sein.
Anleihen – berechenbar, aber längst kein Selbstläufer mehr
Viele Rentner liebäugeln mit Einzelanleihen – mit dem Versprechen fester Zinserträge und überschaubarem Risiko. Doch wer heute eine zehnjährige Anleihe kauft, kauft sich vor allem eines ein: ein massives Zinsänderungsrisiko.
Steigen die Marktzinsen weiter, verliert die Anleihe an Wert – und genau das kann bei einem plötzlichen Liquiditätsbedarf im Ruhestand teuer werden. Gerade langlaufende Bonds reagieren empfindlich auf Zinsänderungen, was sie als Stabilitätsanker disqualifiziert.
Streuung ist das neue Sparbuch – aber bitte richtig
Was besser funktioniert: Anleihen-ETFs mit kurzer Restlaufzeit. Diese Fonds streuen breit über verschiedene Emittenten, Branchen und Laufzeiten – das reduziert das Ausfallrisiko. Sie dienen nicht als Renditebringer, sondern als Stabilitätsbaustein im Depot – eine Art ruhiger Gegenpol zum Aktienrisiko.
Denn: Ein Depot ohne Schwankungen ist illusorisch. Aber ein Portfolio, das planvoll ausbalanciert wurde, kann auch Krisenzeiten überstehen, ohne dass Rentner in Panik ihre besten Anlagen zu Tiefstkursen verkaufen müssen.
Dividenden-ETFs: Verlockend, aber kein Zaubertrank
Dividenden-ETFs klingen verführerisch. Monatliche oder quartalsweise Ausschüttungen versprechen planbares Einkommen – unabhängig vom Aktienkurs.
Doch viele Anleger übersehen: Die Dividende ist kein Bonus, sondern ein Teil der Gesamtrendite. Was ausgezahlt wird, fehlt beim Kurs. Und nicht selten sind hohe Dividendenrenditen ein Warnsignal – weil der Kurs bereits gefallen ist. Wer sich also allein auf Ausschüttungen verlässt, lebt gefährlich.
Hinzu kommt: Die attraktivsten Dividendenzahler finden sich oft in einzelnen Branchen – Energie, Finanzen, Telekommunikation. Das mag kurzfristig stabil wirken, ist aber langfristig riskant und unausgewogen. Auch hier gilt: Diversifikation schlägt Romantik.
Entnahmestrategie: Die stille Königsdisziplin
Viel wichtiger als das Produkt ist im Ruhestand der Plan. Wie viel wird monatlich benötigt? Welche Ausgaben sind planbar, welche nicht? Wer sich auf fixe Ausschüttungen verlässt, lebt starr.
Wer hingegen flexibel bleibt – etwa über einen ETF-Auszahlplan – kann auf Marktschwankungen reagieren. Wird in schwachen Marktphasen weniger entnommen, bleibt das Vermögen geschont. Ein ausreichendes Liquiditätspolster hilft, in genau solchen Phasen nicht verkaufen zu müssen.
Ein Richtwert: Wer pro Jahr nur ein bis zwei Prozent des Ausgangsvermögens entnimmt, wird voraussichtlich lange auskommen, ohne die Substanz zu gefährden. Doch das reicht oft nicht. Wer also realistisch plant, muss mit einem gewissen Kapitalverzehr rechnen – und diesen intelligent steuern.
Was bleibt: Keine Garantie, aber viele Optionen
Es gibt sie nicht, die eine perfekte Ruhestandslösung. Aber es gibt Kombinationen, die funktionieren – wenn sie klug durchdacht und regelmäßig überprüft werden. Ein Mix aus kurzlaufenden Anleihen-ETFs, global gestreuten Aktienfonds, einem soliden Cash-Puffer und einer flexiblen Entnahmestrategie ist kein Geheimrezept, aber eine belastbare Grundlage.
Denn am Ende zählt nicht die maximale Rendite, sondern finanzielle Gelassenheit. Und die beginnt mit einem realistischen Blick auf die eigenen Bedürfnisse – nicht mit dem nächsten vermeintlich cleveren ETF-Tipp.
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