Zum ersten Mal muss ein früherer Spitzenmanager des österreichischen Baukonzerns Soravia persönlich für den gigantischen Anlageskandal geradestehen. Das Landgericht Stuttgart verurteilte den langjährigen Finanzchef Peter Steurer zu Schadenersatz – ein Urteil mit enormer Signalwirkung für die rund 6000 deutschen Anleger, die mit Soravia-Fonds teils hohe fünfstellige Beträge verloren haben.
Der Fall, den das Gericht jetzt bewertet hat, klingt exemplarisch für das, was später zum mutmaßlich größten Anlegerschaden eines österreichischen Immobilienkonzerns in Deutschland anwuchs.
Blindpool? Von wegen – Fonds hatte längst alles Geld verplant
Der klagende Anleger investierte im Oktober 2021 in den Fonds ProReal Europa 10, vertrauend auf einen Prospekt, der eine breit gestreute Anlage versprach. Doch diese Darstellung sei im Zeitpunkt des Investment „unzutreffend“ gewesen, urteilte die 12. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart.
Der Grund: Bereits drei Monate vor der Zeichnung hatte der Fonds sämtliche eingesammelten Gelder vertraglich an die Soravia-nahe SC Finance Four (SCFF) durchgereicht – eine Art Verteilzentrale für Baustellenfinanzierung. Damit sei der beworbene Blindpool-Charakter faktisch aufgelöst, ohne die Anleger zu informieren.
Ein Satz im Urteil wirkt wie ein Schlag ins Gesicht des Managements:
Die Emittentin habe „alles auf eine Karte gesetzt“, was „einem extremen Klumpenrisiko entspricht“.
Ex-Finanzchef Steurer soll knapp 9000 Euro zahlen – und will in Berufung gehen
Steurer, der den Fondsprospekt mit unterschrieben hatte, muss dem Kläger rund 9000 Euro plus Zinsen erstatten. Seine Anwälte kündigten umgehend Berufung an und sprachen von „erheblichen Zweifeln“ an der rechtlichen Bewertung.
Auch Soravia selbst hält sich bedeckt. Man werde das Urteil „sorgfältig prüfen“, ließ eine Sprecherin mitteilen.

6000 Anleger wittern neue Chancen – Anwälte erwarten Klagewelle
Der Hamburger Anlegeranwalt Lutz Tiedemann, der das Urteil erstritt, glaubt an eine massive juristische Nachwirkung:
„Das ist ein Mega-Urteil – es wird vielen Leuten helfen.“
Knapp 180 Millionen Euro sammelte Soravia allein im ProReal Europa 10 ein. Jetzt könnten tausende Geschädigte prüfen, ob sie Ansprüche gegen Manager oder Berater geltend machen können. Viele Klagen sind bereits anhängig.
Der Soravia-Kollaps: Pleiten, Pech, Pannen – und Anleger als Verlierer
Dass Anleger nun verstärkt nach rechtlichen Auswegen suchen, überrascht nicht. Die deutsche Soravia-Geschichte ist geprägt von gescheiterten Großprojekten, geplatzten Bankfinanzierungen und Schadensersatzforderungen von Immobilienkäufern.
Ende 2023 stoppte die One Group sämtliche Zinszahlungen. Kurz darauf folgte eine verwirrende Umstrukturierung, bei der Informationshäppchen nur tröpfchenweise nach außen gelangten. Die SCFF – just jene Gesellschaft, an die Fonds wie ProReal 10 alles Geld verliehen hatten – musste Insolvenz in Eigenverwaltung anmelden. Das Anlegerkapital: wohl größtenteils verloren.
Manager im Visier: Warum das Urteil weit über den Einzelfall hinausgeht
Besonders brisant: Das Gericht stuft Steurer als mitverantwortlich dafür ein, dass Anleger über ein entscheidendes Risiko nicht aufgeklärt wurden. Der Fonds habe mit dem Darlehen „faktisch kaum noch eine Möglichkeit“ gehabt, über die Mittelverwendung zu entscheiden. Genau das Gegenteil dessen, was ein Blindpool verspricht.
Die Verteidigung argumentierte, der Deal habe die Risikostreuung sogar verbessert. Doch angesichts der Insolvenz der SCFF nannte das Gericht diese Sichtweise „überraschend“.
Ein Urteil, das den Soravia-Skandal neu sortiert
Während Soravia weiter um Restrukturierung ringt, könnte dieses Urteil eine Lawine lostreten – rechtlich wie politisch.
Denn erstmals trägt nun ein Spitzenmanager Verantwortung für das, was tausende Anleger als Täuschung und Kontrollversagen empfinden.


