07. August, 2025

Märkte

Endspiel für die deutsche Chemie

BASF, Lanxess, Evonik – einst Weltmarktführer, heute unter Druck. Die Branche ringt mit China, alten Strukturen und ihrer eigenen Trägheit. Gelingt der Neuanfang?

Endspiel für die deutsche Chemie
Recyclingträume und Realitätscheck: BASF investiert in Pyrolyseöl, Evonik in biobasierte Additive – doch das Geschäft rechnet sich selten. Die chemische Kreislaufwirtschaft ist noch keine tragfähige Lösung: hohe Kosten, viel Energiebedarf, geringe Skalierung. Der Weg zur Profitabilität bleibt weit.

Wettbewerb war einmal

Früher galt die deutsche Chemie als Maß aller Dinge. Innovationen, Forschung, Export – in kaum einem anderen Land war die Branche so stark verankert wie hier. Heute steht sie an einem Wendepunkt.

Energiepreise, Bürokratie, Investitionsstau und internationale Konkurrenz setzen den Unternehmen zu. Besonders China macht Tempo – und das nicht zu knapp.

Während in Deutschland Werke stillstehen oder verkauft werden, läuft die Produktion in Fernost auf Hochtouren. Das Land steht inzwischen für über 40 Prozent des weltweiten Chemieumsatzes. Deutschland kommt gerade noch auf gut vier Prozent.

Der Markt schrumpft – auch vor der eigenen Tür

Selbst innerhalb Europas verliert die hiesige Chemie an Boden. Laut KfW-Studie stammten 2012 noch 22 Prozent der in der EU verkauften chemischen Produkte aus deutscher Produktion. Heute sind es nur noch 18 Prozent. Den Rest liefern zunehmend chinesische Anbieter – günstiger, schneller, aggressiver. Die Lage ist ernst.

Internationale Konzerne wie Dow oder Sabic ziehen sich schrittweise aus Europa zurück. Auch BASF, Evonik und Lanxess schließen Anlagen. Von neuen Investitionen ganz zu schweigen.

Symbol des Rückbaus: Das BASF-Werk in Ludwigshafen steht exemplarisch für eine Branche im Umbruch. Am größten Chemiestandort der Welt sind laut Unternehmensangaben rund 20 % der Anlagen nicht mehr wettbewerbsfähig – eine Folge hoher Energiepreise, alter Infrastruktur und strategischer Versäumnisse.

Strategiewechsel unter Druck

Inzwischen setzen einige Konzerne auf radikalen Umbau. BASF trennt sich von margenschwachen Geschäftsbereichen, Lanxess hat sein Portfolio in Richtung Spezialchemie umgebaut.

CEO Matthias Zachert will weniger Autozulieferung, mehr stabile Nischen. Der US-Investor David Einhorn hält Lanxess für einen unterschätzten Börsenwert. Der Markt bleibt skeptisch.

Evonik fokussiert sich auf Additive, Biozide und andere Spezialprodukte. Doch klar ist auch: Die Zeit der fetten Jahre ist vorbei. Wer überleben will, muss schneller werden – und mutiger.

Der Traum von der Kreislaufwirtschaft

Eine der Hoffnungen der Branche liegt im Recycling. Der Wuppertaler Unternehmer Carsten Gerhardt will mit seinem Projekt „Circular Valley“ eine Art Silicon Valley für Recycling schaffen – mitten im Ruhrgebiet. Start-ups aus aller Welt arbeiten hier an Lösungen für Kunststoffabfälle, Mikroplastik oder Textilreste. Unternehmen wie BASF, Bayer oder Henkel sind Partner.

Doch die Realität ist zäh. Chemisches Recycling ist teuer, energieintensiv und rechnet sich derzeit kaum. BASF experimentiert mit Pyrolyseöl aus alten Reifen, Covestro investiert in biobasierte Kunststoffe. Evonik will mit recycelten Produkten bis 2032 rund 1,5 Milliarden Euro zusätzlichen Umsatz machen. Aber der Weg ist lang – und steinig.

Start-ups fordern die Platzhirsche heraus

Die Gründerin Sonja Jost geht noch weiter. Ihr Unternehmen Dude Chem entwickelt nachhaltige Produktionsprozesse für die Pharmaindustrie – effizienter, grüner, günstiger. Ihre Kritik an der etablierten Industrie ist deutlich:

„Viele Konzerne sind unfähig, externe Innovationen in ihre Prozesse zu integrieren.“

Jost sieht ein grundlegendes Strukturproblem. Während KI und neue Technologien außerhalb der Konzerne für Tempo sorgen, agieren die großen Unternehmen langsam, vorsichtig, oft selbstbezogen. Für sie ist klar: „Ohne grundlegenden Wandel werden einige von ihnen verschwinden.“

Mehr Forschung, weniger Wirkung

Die Branche verweist auf hohe Ausgaben für Forschung: 16,5 Milliarden Euro sollen es 2025 werden – ein Rekord. Doch über 60 Prozent davon entfallen auf die Pharmasparte. Für die klassische Chemie bleibt nicht viel übrig. Patentanmeldungen aus Deutschland sind international zurückgefallen – inzwischen auf Platz fünf hinter USA, China, Japan und Südkorea.

Selbst der Branchenverband VCI räumt ein, dass mehr passieren muss. Evonik-Personalvorstand Thomas Wessel nennt „überbordende Regulierung“ als Bremse – gesteht aber auch: „Wir müssen uns unsere Zukunft wieder neu erarbeiten.“

BASF krempelt sich um

Beim Branchenprimus BASF hat CEO Markus Kamieth die Zeichen der Zeit erkannt. Er will das Unternehmen agiler machen. Entscheidungsprozesse werden in die Geschäftsbereiche verlagert, Hierarchien abgebaut. Workshops fördern Feedbackkultur, Meetings sind nur noch für Mitarbeitende mit konkretem Beitrag. Der Konzern soll wieder Tempo aufnehmen.

Ob das reicht, ist offen. Aber der Richtungswechsel ist klar: weniger Verwaltung, mehr Verantwortung, neue Strukturen. Der Slogan der neuen Strategie: „Own it. Drive it. Excel in it.“

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