Ein Prozent klingt zunächst harmlos. Doch bei einem Konzern wie UnitedHealth ist ein solcher Kursverlust mehr als eine Randnotiz – es ist ein Alarmsignal. Wieder einmal steht der amerikanische Versicherungsriese unter Druck.

Der Grund: Das Justizministerium hat die Ermittlungen gegen den Dow-Jones-Konzern ausgeweitet. Der Verdacht wiegt schwer – und ist nicht neu.
Zweifel an der Diagnose
Laut Wall Street Journal, das sich auf informierte Kreise beruft, untersucht die auf Gesundheitsbetrug spezialisierte Abteilung des US-Justizministeriums die Abrechnungspraktiken von UnitedHealth.
Genauer gesagt: Die Art, wie Ärztinnen und Ärzte innerhalb des Konzerns eingesetzt werden, um Diagnosen zu stellen – Diagnosen, die nicht nur medizinisch relevant sind, sondern offenbar auch finanziell nützlich.
Konkret geht es um sogenannte „upcoded“ Diagnosen im Rahmen des Medicare-Systems. Das ist das staatlich subventionierte Gesundheitsprogramm für ältere US-Amerikaner.
Je schwerer die Krankheit, desto höher die Zahlungen des Staates an die Versicherer – ein Anreiz, den das Geschäftsmodell großer Player wie UnitedHealth offenbar allzu gerne nutzt.
Bereits im Mai hatte das WSJ berichtet, dass Ermittlungen zu eben diesem Themenkomplex laufen – nun wird klar: Die Ermittlungen reichen mindestens bis in den Sommer 2024 zurück und weiten sich offenbar aus.
Ein Sektor unter Strom
Die Verunsicherung trifft nicht nur UnitedHealth. Auch Wettbewerber wie Centene oder Molina Healthcare hatten in den vergangenen Tagen mit negativen Nachrichten zu kämpfen.
Centene zog sogar die eigene Jahresprognose zurück – ein dramatischer Schritt für ein Unternehmen dieser Größenordnung. Und Molina enttäuschte mit seinen vorläufigen Quartalszahlen. Anleger fliehen zunehmend aus einem Sektor, der lange als verlässlich galt – zumindest finanziell.
Dabei ist die Nervosität nicht unberechtigt. Die US-Krankenversicherer bewegen sich in einem regulatorischen Spannungsfeld: Auf der einen Seite stehen milliardenschwere öffentliche Programme wie Medicare Advantage, auf der anderen Seite ein wachsendes Misstrauen der Aufsichtsbehörden – nicht zuletzt wegen früherer Skandale und aggressiver Geschäftsmodelle.
Das Ziel: Wachstum um jeden Preis, häufig auf dem Rücken eines intransparenten Abrechnungssystems.
Die politische Komponente
Die Ermittlungen kommen zu einem heiklen Zeitpunkt. In den USA steht der Wahlkampf bevor – und das Gesundheitssystem ist traditionell ein zentrales Thema. Für Demokraten wie Republikaner gleichermaßen ist Medicare ein Spielball politischer Symbolik.
Umso empfindlicher reagieren die Behörden, wenn Zweifel an der Integrität großer Anbieter laut werden. Eine formelle Anklage gegen UnitedHealth steht derzeit zwar nicht im Raum – doch allein die anhaltenden Ermittlungen könnten für den Konzern teuer werden. Nicht nur finanziell, sondern auch reputativ.
Kurs unter Druck, Prognose ungewiss
Die Anleger zeigen sich entsprechend zurückhaltend. Die Aktie notiert nur noch knapp über der psychologisch wichtigen Marke von 300 Dollar – ein Niveau, das zuletzt mehrfach getestet wurde. Das Chartbild wirkt angeschlagen, Analysten sprechen von einem „gebrochenen Trend“. Zwar ist UnitedHealth operativ profitabel, doch das Vertrauen in die nachhaltige Integrität des Geschäfts bröckelt.
Wirklich belastbare Aussagen wird es wohl erst mit der kommenden Quartalsveröffentlichung geben. Dann will das Unternehmen auch seine Prognose für das laufende Geschäftsjahr anpassen. Ob das reicht, um die Zweifel zu zerstreuen, ist fraglich. Zumal der Markt zunehmend erkennt: Das Problem ist nicht nur UnitedHealth – es ist systemisch.
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