Siemens stille Kraft: Wie Matthias Rebellius aus dem Schatten trat
In München redet jeder über Cedrik Neike, doch in Zug liegt die bessere Geschichte. Während sich der Siemens-Vorstand mit dem Digitalumbau des Konzerns abmüht, hat einer der ruhigsten Köpfe des Unternehmens seine Sparte zur wachstumsstärksten Einheit gemacht – nahezu unbeachtet.
Matthias Rebellius, Chef von Siemens Smart Infrastructure (SI), liefert Gewinne, Skaleneffekte und ein Portfolio, das im Zeitalter von Klimawandel und KI plötzlich exakt zur Weltlage passt. Nur redet kaum jemand darüber. Noch.
Eine Fabrik mit Seeanschluss
Zug, ein Ort mit 30.000 Einwohnern, bekannt für Steuervermeidung und Rechenzentren. Inmitten des Blockchain- und Rohstoff-Paradieses baut Siemens Rauchmelder. Alle sechs Sekunden einer. Was altmodisch klingt, ist in Wahrheit Teil eines wachsenden Hightech-Kerns.
Im Keller der Firmenzentrale saugt eine Wärmepumpe Wasser aus dem Zuger See, auf dem Dach sorgen Sensoren, Software und Smart Grids dafür, dass das Gebäude energieautark und netzdienlich bleibt. Ein Showroom für eine Zukunft, die bereits Realität ist.
Und Siemens Smart Infrastructure liefert: 80.000 Mitarbeitende weltweit, 1.700 allein in Zug, massive Investitionen in Nordamerika und Indien.
Der Gewinn der Sparte hat sich seit 2020 verdoppelt, das Rechenzentrums-Geschäft wuchs zuletzt um 50 Prozent. Auch 2025 rechnet man mit zweistelligem Wachstum – befeuert von einem globalen Run auf KI-Serverfarmen und Energieeffizienz.

Von „Gebäudetechnik“ zu „Smart Infrastructure“
Die Geschichte von Smart Infrastructure beginnt profan: Rauchmelder, Steuertechnik, Schaltschränke. Rebellius, der 1988 als Werkstudent bei Siemens anfing, führte die Sparte durch Jahrzehnte der Umstrukturierung.
2019 entstand aus „Building Technologies“ und „Energy Management“ die neue Einheit. Seither ist SI das, was bei Siemens lange unterschätzt wurde: ein Bindeglied zwischen analoger Infrastruktur und digitalem Fortschritt – konkret, skalierbar und margenstark.
Der Umbau wurde nicht mit Powerpoint, sondern mit Übernahmen umgesetzt: 2022 übernahm SI für 1,6 Mrd. Dollar das US-Unternehmen Brightly Software. Ziel: ein Fuß im boomenden Markt für digitales Gebäudemanagement. SaaS statt Einmalverkauf.
In Indien kaufte man C&S Electric – ein günstiger Einstieg in den Markt für Niederspannungstechnik. Und: ein strategischer Fingerzeig. Denn während andere DAX-Konzerne noch auf China setzen, hat Rebellius Indien längst zum Wachstumsschwerpunkt erklärt.
In Indien ist Siemens angekommen – wirklich
„Indien ist nicht mehr nur Werkbank“, sagt Rebellius. Man hört das oft – und doch ist es selten mehr als PR. Bei SI ist es anders. 15.000 Beschäftigte, 50 Millionen Dollar Investitionen allein 2024, ein Markt, der sich laut Rebellius „vervielfacht“. Die Regierung in Neu-Delhi baut mit Volldampf Stromnetze, Rechenzentren und smarte Städte.
Siemens liefert die Schaltanlagen, Software und Sensoren. Der Subkontinent bleibt zwar ertragstechnisch hinter Nordamerika zurück, doch er ist Teil der strategischen Antwort auf den China-Schock, der anderen Sparten derzeit zu schaffen macht.
Lesen Sie auch:

Wenn der Außenseiter plötzlich liefert
Intern hat Rebellius nicht das größte Büro. Lange galt die Digital-Industries-Sparte (DI) als Siemens’ Vorzeigebereich. Cedrik Neike, ihr Chef, wird als möglicher Nachfolger von Konzernlenker Roland Busch gehandelt – trotz durchwachsener Performance.
Rebellius hingegen wollte nie CEO werden. Er liefert lieber still. Doch genau das könnte SI nun zum zentralen Bestandteil der Siemens-Zukunft machen.
Während DI unter schwachen China-Zahlen leidet, wachsen Rechenzentren, smarte Gebäude und Stromnetze in den USA und Europa – SI ist dort systemrelevant. Der Markt für Rechenzentren wächst jährlich um 15 %, SI will ihn um mindestens fünf Prozentpunkte übertreffen. Kein DAX-Konzern ist in dieser Nische so breit aufgestellt wie Siemens – und keine Siemens-Sparte wächst derzeit schneller.
Rebellius Abschied – und die unbequeme Frage
Doch Rebellius wird Siemens bald verlassen. Ende 2025 scheidet er aus dem Vorstand aus. Damit steht Siemens vor einem Dilemma: Der Mann, der eine unsexy Sparte in ein profitables Wachstumszentrum verwandelt hat, geht – und hinterlässt eine Lücke. Wer folgt ihm nach? Wird SI den Fokus behalten, oder wieder zur Randnotiz?
Auch Investoren beobachten das genau. Fondsmanager wie Maria Mihaylova von Union Invest fordern schon länger die Zerschlagung des Siemens-Konglomerats. Ein Spin-off von SI wäre theoretisch hochbewertet – vergleichbare Firmen wie Schneider Electric oder Johnson Controls erzielen an der Börse ein Vielfaches der Siemens-Bewertung. Doch die Zentrale winkt ab. Noch.
Der unterschätzte Vorteil im Konglomerat
SI bleibt bei Siemens – auch weil es ein strategischer Joker ist. Dank der digitalen Plattform „X-Celerator“, ursprünglich ein DI-Produkt, kann SI seine physische Technik mit Softwarelösungen kombinieren: Ladeinfrastruktur, CO₂-Steuerung, Fernwartung, Brandschutz – alles smart, alles Siemens.
Während Wettbewerber wie Honeywell einzeln liefern, verkauft Siemens vernetzte Systeme. Genau das wird für Investoren, Städte und Betreiber zunehmend attraktiv.
Die Ironie: Siemens, lange als träger Tanker belächelt, ist in Teilen agiler als viele spezialisierte Tech-Player. Und das liegt zu einem großen Teil an einem Mann, der nie CEO sein wollte.
Das könnte Sie auch interessieren:
