Die Offensive, die keine mehr ist
Russland spricht von Erfolgen, die kaum jemand sieht. Wladimir Putin verkündet regelmäßig neue „befreite“ Quadratkilometer in der Ostukraine – doch auf dem Boden ist von einem Durchbruch nichts zu spüren. Statt blitzartiger Vorstöße erleben Beobachter an der Front ein zähes, verlustreiches Ringen um einzelne Dörfer und Anhöhen.
In der Region Donezk, besonders rund um Pokrowsk, hat sich die Lage festgefressen. Russische Truppen greifen in kleinen Gruppen an, kaum noch mit gepanzerten Fahrzeugen.
Die ukrainische Verteidigung ist vorbereitet, flexibel und zunehmend präzise in ihren Schlägen. Fast täglich meldet Kiew erfolgreiche Drohnen- oder Raketenangriffe auf russische Stellungen, Depots und Kommandoposten.
Das Bild, das sich abzeichnet, ist das eines Krieges, der für Moskau immer kostspieliger wird – und für Kiew immer berechenbarer.

Pokrowsk – der zähe Knoten im Osten
Pokrowsk ist kein Name, der in westlichen Schlagzeilen häufig auftaucht. Doch für beide Seiten ist dieser Ort entscheidend. Die Stadt gilt als logistisches Herz des Donezker Frontbogens – wer sie kontrolliert, kontrolliert den Nachschub. Russland hat hier bis zu 150.000 Soldaten konzentriert, um endlich den Durchbruch zu erzwingen. Doch der Erfolg bleibt aus.
„Man sieht es auf Satellitenbildern“, sagt ein westlicher Militäranalyst. „Die Linien bewegen sich kaum. Dafür wachsen die Kraterfelder.“ Der Preis, den Moskau für jeden Meter Boden zahlt, ist hoch. Inzwischen geht selbst in russischen Militärforen die Angst um, dass die Offensive buchstäblich „totläuft“.

Kiews Strategie: Zermürben statt stürmen
Während Russland im Osten anrennt, verlagert Kiew das Gefecht zunehmend hinter die Front. Ukrainische Drohnenangriffe treffen tief im russischen Kernland Raffinerien, Tanklager und Strominfrastruktur. Fast jede Woche wird eine neue Anlage gemeldet, die in Flammen steht.
Das Ziel ist klar: Moskaus Nachschub austrocknen, bevor er an die Front gelangt. Die Schäden an Russlands Raffinerien sind mittlerweile so groß, dass Treibstoff in einigen Regionen knapp wird. Für eine Armee, die auf Panzer, Lkw und Nachschubkolonnen angewiesen ist, ist das ein ernstes Problem – zumal Ersatzteile und moderne Fahrzeuge fehlen.

Hinzu kommt, dass die ukrainische Industrie es geschafft hat, eigene Marschflugkörper zu entwickeln. Das „Flamingo“-System, über das Präsident Selenskyj kürzlich sprach, scheint seine Feuertaufe bestanden zu haben. Für Russland bedeutet das: kein Hinterland ist mehr sicher.
Verluste, die sich nicht mehr verbergen lassen
Russlands Personalprobleme sind offenkundig. Die Zahl der Gefallenen und Verwundeten wird in offiziellen Berichten kaum noch erwähnt, doch die Mobilmachung läuft – diesmal still und über das ganze Jahr verteilt. Junge Männer werden einberufen, angeblich nur für den „Heimatschutz“. Tatsächlich aber landen viele in der Nähe der ukrainischen Grenze, wo sie die erschöpften Linien stützen sollen.
Gleichzeitig bleiben die Rekrutierungskampagnen für Vertragssoldaten hinter den Erwartungen zurück. Die Prämien steigen, doch der Zulauf sinkt. Wer kann, zieht sich zurück. Selbst in russischen Staatsmedien wird vorsichtige Kritik laut – ein Novum.
Die Zeit läuft gegen Moskau
Analysten sind sich einig: Russland steht vor einer Entscheidung. Eine weitere Mobilmachung würde die Bevölkerung spalten und die Wirtschaft belasten. Ohne sie aber wird das militärische Gleichgewicht weiter kippen.
Putin spricht von Geduld und „strategischer Initiative“. Doch seine Generäle wissen, dass Geduld im Krieg selten ein Vorteil ist, wenn der Gegner das Material, die Technologie und den Rückhalt des Westens hat.
Für die Ukraine hingegen hat sich das Kräfteverhältnis verschoben. Die eigene Armee ist kleiner, aber wendiger und technisch zunehmend unabhängig. Die Front mag stillstehen, doch die Dynamik des Krieges hat sich verlagert – in die Werkhallen, die Drohnenlabore und die Raffinerien.
Ein Krieg, der seine Richtung ändern könnte
Das International Institute for Strategic Studies fasst es nüchtern zusammen: Russland kämpft gegen die Zeit. Jeder Monat ohne entscheidenden Durchbruch schwächt die eigene Position, innen wie außen.
Je länger der Krieg dauert, desto enger wird das politische und wirtschaftliche Korsett, in dem sich Moskau bewegt. Der Westen hält stand, die Ukraine passt sich an, und die russische Armee verschleißt.
Die Frage ist nicht mehr, ob das Fenster für einen Sieg sich schließt – sondern wann. Und wer es zuerst bemerkt.
