01. August, 2025

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Chlorhühnchen, Datenstreit, Milliardenversprechen – und kein Vertrag

Der transatlantische Handelsdeal zwischen USA und EU droht zu scheitern, noch bevor die Tinte trocken ist. Nur 48 Stunden nach dem Handschlag in Schottland widersprechen sich Brüssel und Washington in fast allen Punkten.

Chlorhühnchen, Datenstreit, Milliardenversprechen – und kein Vertrag
Der Handschlag zwischen von der Leyen und Trump wirkt im Rückblick eher wie eine PR-Geste – als wie ein Durchbruch.

Verwirrung statt Vertrag

Erst der medienwirksame Handschlag in Turnberry, dann der Rückzieher per Faktenblatt: Weniger als zwei Tage nach der vielbeachteten Einigung auf einen neuen transatlantischen Handelsrahmen liefern sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump einen Streit um die Deutungshoheit.

Beide Seiten haben inzwischen eigene Dokumente veröffentlicht – mit erstaunlich unterschiedlichen Inhalten.

Während das Weiße Haus von einem „historischen Durchbruch“ spricht, sieht die EU-Kommission vor allem offene Fragen – und keinerlei rechtlich verbindliche Grundlage. Das, was in Schottland als Erfolg verkauft wurde, ist in Wahrheit nicht viel mehr als ein politischer Willensausdruck. Und ein fragiler noch dazu.

Vier Themen, vier Konflikte

Die Uneinigkeit zwischen Brüssel und Washington betrifft vier zentrale Punkte: Agrarstandards, Digitalregulierung, Investitionen – und die ewigen Zölle auf Stahl und Aluminium. Jeder dieser Bereiche enthält genug Sprengstoff, um die Verhandlungen platzen zu lassen.

1. Lebensmittelstandards: Chlorhuhn reloaded

Die USA behaupten, die EU werde künftig beim Import von Schweinefleisch und Milchprodukten Zugeständnisse machen. Aus Brüssel heißt es dagegen, Agrarprodukte seien „nicht einmal Teil der Verhandlungen“ gewesen. Der Satz klingt wie eine juristische Ausflucht – und genau das macht ihn politisch brisant.

Agrarstreit entflammt erneut: Die USA erwarten Erleichterungen für ihre Landwirtschaft – Brüssel dementiert. Chlorhühnchen inklusive?

Im Europaparlament wächst die Sorge, dass unter dem Deckmantel eines schnell verkündeten Deals schrittweise Standards aufgeweicht werden könnten. Grünen-Politikerin Jutta Paulus spricht bereits von einer „wertlosen Beruhigungspille“ seitens von der Leyen – und sieht das gefürchtete Chlorhühnchen wieder auf dem EU-Teller landen.

2. Digitale Regeln: DMA, DSA – oder US-Kompromissmasse?

Auch in der Digitalpolitik klaffen Anspruch und Realität auseinander. Die EU-Kommission versichert, dass Gesetze wie der Digital Markets Act (DMA) und der Digital Services Act (DSA) nicht zur Debatte stünden. Die US-Darstellung klingt anders: Dort ist die Rede von einer gemeinsamen Absicht, „digitale Handelsschranken zu beseitigen“.

Das klingt vage – aber genau das ist das Problem. EU-Abgeordnete wie Alexandra Geese befürchten, dass aus vagen Formulierungen plötzlich handfeste Ausnahmen werden könnten. Besonders brisant: In dem US-Dokument steht, die EU habe sich verpflichtet, keine Netznutzungsgebühren für Digitalkonzerne einzuführen – ein zentrales Element des geplanten Digital Networks Act.

3. Energie und Investitionen: Milliarden ohne Basis

Laut Weißem Haus will die EU innerhalb von drei Jahren Energie im Wert von 750 Milliarden Dollar aus den USA importieren. Die Realität: Niemand weiß, wie diese Zahl zustande kommt. Die EU-Kommission spricht nur davon, dass europäische Unternehmen „Interesse“ an Investitionen geäußert hätten. Von verbindlichen Verpflichtungen ist keine Rede.

Ein EU-Beamter sagt auf Nachfrage lediglich: „Wir sind heute nicht in der Lage, die Zahl aufzudröseln.“ Eine Aussage, die nicht gerade Vertrauen schafft – weder bei Investoren noch bei der Energiebranche. Dort ist man schlicht „sprachlos“, wie es ein Insider gegenüber IW formuliert.

4. Zölle: Die Rückkehr des Stahlkonflikts

Auch beim Thema Zölle auf Stahl und Aluminium widersprechen sich beide Seiten diametral. Die US-Version: Die Strafzölle von 50 % bleiben bestehen. Die EU: Es gebe künftig Zollkontingente, die die Belastung senken und „fairen Wettbewerb“ ermöglichen sollen.

Was stimmt? Offenbar nichts davon vollständig. Der Text ist in der finalen Abstimmung – und damit offen für politische Einflussnahme. Genau das macht viele EU-Parlamentarier nervös. Handelsausschusschef Bernd Lange bringt es auf den Punkt: „Die EU hat kein Abkommen. Ein Abkommen ist, wenn man einverstanden ist.“

Ein Deal, der keiner ist

Der Fall zeigt exemplarisch, wie brüchig politische Symbolik in einer Wahlkampfphase sein kann. Trump braucht schnelle Erfolge für seine Wiederwahlkampagne. Von der Leyen möchte sich als Vermittlerin zwischen den Blöcken profilieren. Doch was bleibt, ist ein halbfertiges Vertragswerk voller Fallstricke – und ein wachsender Vertrauensverlust auf beiden Seiten.

Ob der „größte Deal von allen“, wie Trump es formulierte, wirklich kommt, entscheidet sich in den nächsten Tagen. Und ob die EU am Ende nur ein paar Überschriften gekauft hat – oder die eigenen Standards verkauft.

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