15. Oktober, 2025

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Chipkrise reloaded – Europas Autoindustrie gerät erneut ins Wanken

Die niederländische Regierung greift in die Kontrolle des chinesischen Chipherstellers Nexperia ein. Der Schritt soll Europas Sicherheit schützen – doch Autobauer fürchten das nächste Lieferchaos.

Chipkrise reloaded – Europas Autoindustrie gerät erneut ins Wanken
Geopolitischer Brennpunkt: Nach der Machtübernahme durch die niederländische Regierung steht Nexperia, ein Tochterunternehmen des chinesischen Wingtech-Konzerns, im Zentrum des westlich-chinesischen Technologie-Konflikts.

Wenn Politik Halbleiter stoppt

Es ist ein Eingriff mit Sprengkraft: Die Niederlande haben die Kontrolle über Nexperia, einen der wichtigsten Chiplieferanten der europäischen Autoindustrie, übernommen. Der offizielle Grund: Risiken für die „wirtschaftliche Sicherheit Europas“. Hinter der Entscheidung steckt mehr – nämlich die Angst, dass Technologie und Know-how des Konzerns in chinesische Hände abfließen könnten.

Der Schritt erfolgte bereits Ende September, wurde aber erst am Sonntagabend öffentlich. Damit bekommt Den Haag vorerst das letzte Wort über strategische Entscheidungen bei Nexperia – vom Austausch des Managements bis hin zu möglichen Werkverlagerungen. Für viele in der Industrie kam das wie ein Schock.

„Hier herrscht Alarm“, sagt ein ranghoher Manager eines großen Automobilzulieferers. Zwischen Herstellern und Zulieferern kursieren Warnschreiben. Der Grund: Die Autoindustrie hängt stärker an Nexperia, als vielen bewusst war.

Kleine Chips, große Abhängigkeit

Nexperia produziert keine Hochleistungschips für autonomes Fahren oder Infotainment-Systeme. Es geht um unscheinbare, aber unverzichtbare Bauteile – Dioden, Transistoren, einfache Steuerchips. Sie stecken in Airbags, LED-Scheinwerfern und Batteriemanagementsystemen.

Genau diese sogenannten Commodity Chips wurden in der Vergangenheit als unkritisch betrachtet. Nach der Halbleiterkrise zwischen 2020 und 2023 hatten sich die Autobauer auf Highend-Komponenten konzentriert – doch die Basistechnik blieb weitgehend in chinesischer Hand.

Jetzt zeigt sich, wie riskant diese Strategie war. Ein Zulieferer sagt gegenüber der InvestmentWeek: „Die Lieferkette ist bei diesen einfachen Bauteilen dünner, als es nach außen wirkt. Fällt Nexperia aus, stehen die Bänder.“

Chinas Exportregeln verschärfen die Lage

Besonders brisant: Ein Teil der Produktion liegt in Guangdong, China, wo lokale Behörden seit dem 4. Oktober neue Exportbeschränkungen erlassen haben. Betroffen sind bestimmte Fertigkomponenten, deren Ausfuhr nur noch mit Genehmigung möglich ist.

Nexperia hat bestätigt, dass ein Antrag auf Exportgenehmigung gestellt wurde – bislang ohne Ergebnis. Bis dahin ruht die Ausfuhr, und jedes Bauteil bleibt im Zoll stecken. Ein Szenario, das Erinnerungen an die Pandemiezeit weckt, als Fabriken monatelang stillstanden, weil Halbleiter fehlten.

Offiziell begründet China die Maßnahme mit „technischer Regulierung“. Doch in europäischen Industriekreisen sieht man das anders: „Das ist wirtschaftliche Machtausübung“, sagt ein Branchenanalyst. „China nutzt seine Rolle als Zulieferer, um politischen Druck aufzubauen.“

Nexperia zwischen den Fronten

Der Konzern steckt in einem geopolitischen Klammergriff. Eigentümer ist der chinesische Wingtech-Konzern, der schon seit 2024 auf der US-Liste „gefährlicher Unternehmen“ steht. Damit unterliegt auch Nexperia indirekt amerikanischen Restriktionen.

Den Haag will nun verhindern, dass sensible Technologie oder Daten abfließen. Ein Gericht in Amsterdam setzte sogar den chinesischen CEO Zhang Xuezheng ab – ein in Europa bislang beispielloser Vorgang. Wingtech spricht von einem „Akt geopolitischer Voreingenommenheit“ und hat die chinesische Regierung um Unterstützung gebeten.

Für die EU ist die Angelegenheit heikel. Die Niederlande sind durch ASML, den wichtigsten Hersteller von Lithografieanlagen weltweit, ohnehin ein neuralgischer Punkt im Chipkrieg zwischen den USA und China. Dass sie nun auch noch bei Nexperia eingreifen, verschärft die Spannungen weiter.

Die Autoindustrie fürchtet das Déjà-vu

Nach Jahren der Halbleiterkrise schien die Lage gerade erst stabil. Produktionsketten wurden diversifiziert, Lagerbestände aufgestockt. Doch das Vertrauen war trügerisch.

„Wir haben viel in Mikrocontroller und Highend-Chips investiert“, sagt ein Entwicklungsleiter eines süddeutschen Autoherstellers. „Aber niemand hat die einfachen Bauteile wirklich abgesichert.“ Genau dort droht jetzt der nächste Engpass.

Betroffen wären insbesondere Zulieferer, die Airbag-Steuergeräte, Sensorik oder LED-Technik fertigen. Schon wenige Wochen Lieferverzögerung könnten Millionen kosten.

Ein geopolitischer Dominoeffekt

Der niederländische Eingriff fällt in eine Phase, in der China und der Westen im Technologiehandel auf Konfrontation stehen. Die USA hatten den Export bestimmter Nvidia-Chips nach China verboten – Peking reagierte mit Gegensanktionen und Exportverboten für seltene Erden.

Europa gerät zwischen die Fronten. Die EU will einerseits wirtschaftliche Sicherheit, andererseits technologische Souveränität. Doch Eingriffe wie der in Den Haag zeigen: Selbst Schutzmaßnahmen können die Abhängigkeit kurzfristig erhöhen.

„Was als Sicherheitsvorkehrung gedacht war, kann schnell zur Lieferblockade werden“, sagt ein Analyst der IW. „Das Dilemma Europas ist, dass politische Selbstbehauptung ökonomische Verwundbarkeit erzeugt.“

Die stille Lehre aus dem Chipalarm

Nexperia ist kein Einzelfall, sondern ein Symbol. Europa erlebt gerade, wie eng wirtschaftliche Stabilität und geopolitische Macht verflochten sind.

Die Bundesregierung hatte erst im vergangenen Jahr angekündigt, Deutschland zu einem Halbleiterstandort „von Weltrang“ machen zu wollen. Doch während Intel in Magdeburg baut und TSMC in Dresden, bleibt die Abhängigkeit bei den einfachen Komponenten bestehen – jenen unscheinbaren Chips, ohne die kein Auto, kein Smartphone, keine Batterie funktioniert.

Was jetzt fehlt, ist Zeit. Denn noch bevor Europa seine eigene Halbleiterproduktion hochgefahren hat, droht der nächste Engpass. Und der kommt diesmal nicht aus Taiwan oder Texas – sondern aus den Niederlanden.

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