Es war ein Satz mit Sprengkraft, und er stand zwischen den Zeilen: Applied Materials, einer der wichtigsten Ausrüster für die globale Halbleiterindustrie, sieht die nächsten Monate kritisch – und warnt Anleger vor einem Geschäftseinbruch. Die Aktie reagierte prompt.
Binnen Minuten verlor sie nachbörslich über elf Prozent. Der Ausblick auf das laufende Quartal liegt deutlich unter Markterwartung. Analysten hatten mit einem Umsatz von 7,33 Milliarden Dollar gerechnet.
Ungewissheit statt Investitionslust
Das Unternehmen nennt „wirtschaftliche Unsicherheit“ als Grund für die Eintrübung. Hinter dem diplomatisch klingenden Begriff versteckt sich allerdings ein ganzes Bündel aus geopolitischem Druck, regulatorischen Hürden und einer ins Stocken geratenen Investitionsbereitschaft bei den Kunden – allen voran in Asien. Besonders China, lange Zeit Wachstumstreiber und Absatzmarkt für Hightech-Ausrüstung, ist zum Risikofaktor geworden.
Die Exportbeschränkungen der US-Regierung unter Donald Trump – mittlerweile verschärft unter Präsident Biden – zeigen Wirkung. Applied Materials darf viele seiner Maschinen für die modernste Chipproduktion nicht mehr nach China liefern.
Auch einige EU-Staaten ziehen nach, darunter die Niederlande mit ihrem Zulieferer ASML. Der Markt, der einst die Fantasie beflügelte, wird jetzt zur Zwickmühle zwischen Wirtschaft und Diplomatie.
Politik greift tief in die Lieferketten ein
Was früher eine Frage der Technik war, ist heute ein geopolitisches Minenfeld. Wer Maschinen für 3-Nanometer-Prozesse verkauft, liefert nicht nur Produktionsmittel – sondern potenziell strategisches Rüstzeug.
Die US-Regierung drängt ihre Techkonzerne deshalb, sich zurückzuziehen. Für Applied Materials bedeutet das: Milliardenumsätze fallen weg. Hinzu kommt die Unsicherheit über weitere Sanktionen. Wer heute bestellt, weiß nicht, ob er morgen noch liefern darf.
Dass Kunden angesichts dieser Gemengelage zögern, überrascht kaum. Selbst Unternehmen aus Südkorea und Taiwan halten sich zurück, aus Angst, zwischen die Fronten zu geraten.
Zwar steigen die langfristigen Investitionen in Chipfabriken weltweit, doch kurzfristig ist das Momentum raus. Statt groß einzukaufen, schieben viele Kunden ihre Bestellungen auf – in der Hoffnung, dass sich das geopolitische Wetter bessert.
Trump, Biden und die Chip-Offensive
Ironischerweise ist es ausgerechnet die staatlich orchestrierte Chip-Offensive der USA, die Applied Materials in Schwierigkeiten bringt. Die milliardenschweren „CHIPS Acts“ sollen Amerikas Halbleiterindustrie unabhängiger machen – durch Fördergelder, Steuererleichterungen und Infrastrukturprojekte.
Doch wer davon profitiert, sind oft neue Player, Start-ups oder Fabrikbetreiber wie Intel oder TSMC auf US-Boden – nicht unbedingt klassische Zulieferer wie Applied Materials. Viele dieser Projekte sind zudem noch in der Bau- oder Frühplanungsphase, bringen also kurzfristig keine Bestellungen.
Applied Materials, obwohl im Zentrum der Wertschöpfungskette, steht deshalb zwischen den Stühlen: Der US-Markt wächst langsamer als erhofft, China ist eingebremst, Europa bleibt fragmentiert, und weltweit agierende Kunden halten sich zurück. Es ist das klassische Dilemma eines Technologielieferanten, der zwar gebraucht wird, aber abhängig bleibt vom Tempo der Investitionszyklen.
Ein Warnsignal für die gesamte Branche
Die aktuelle Warnung ist deshalb nicht nur eine Unternehmensmeldung – sie ist ein Signal an die gesamte Branche. Wenn Applied Materials stolpert, sind meist auch andere betroffen. Die Aktie von Lam Research geriet nachbörslich ebenfalls unter Druck. Auch Zulieferer wie KLA, ASML oder Tokyo Electron spüren die Zurückhaltung.
Für Investoren heißt das: Die Halbleiterbranche bleibt ein politisches Risiko. Während viele Anleger auf eine neue Chip-Rallye spekulieren – ausgelöst durch KI, Cloud und Automotive – zeigt sich auf der Seite der Maschinenbauer ein ganz anderes Bild: Hier dominieren Zollformulare, Embargolisten und Konferenzschaltungen mit Behörden den Alltag. Es ist der Maschinenraum der Branche – und hier brennt es lichterloh.
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