Prognose unter Druck
Evonik hat seine Erwartungen für das laufende Geschäftsjahr kräftig nach unten korrigiert. Statt eines bereinigten operativen Gewinns (Ebitda) zwischen zwei und 2,3 Milliarden Euro peilt der Chemiekonzern nur noch rund 1,9 Milliarden Euro an. Hintergrund ist die anhaltende Schwäche der weltweiten Chemienachfrage, die auch im zweiten Halbjahr nicht an Dynamik gewinnt.
Für das dritte Quartal rechnet Evonik mit einem Ebitda zwischen 420 und 460 Millionen Euro – deutlich weniger als die 577 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum und klar unter den aktuellen Markterwartungen von 501 Millionen Euro.

Belastungsprobe für die Branche
Die Lage bei Evonik ist kein Einzelfall. Seit Monaten leidet die gesamte Chemieindustrie unter schwachen Absatzmärkten, hohen Energiekosten und einem schleppenden globalen Konjunkturumfeld. In Deutschland drücken zusätzlich hohe Standortkosten und eine schwache Industrienachfrage auf die Ergebnisse.
Während Wettbewerber wie BASF bereits seit Längerem mit Kostensenkungsprogrammen reagieren, muss auch Evonik den Gürtel enger schnallen. Die jüngste Gewinnwarnung zeigt, wie tief die Branche im Zyklus steckt.
Strukturprobleme werden sichtbar
Die Abhängigkeit von zyklischen Industrien – Automobil, Bau, Konsumgüter – macht Chemiekonzerne besonders anfällig. Evonik hat in den vergangenen Jahren versucht, mit Spezialchemie und nachhaltigen Produkten unabhängiger zu werden. Doch auch diese Segmente spüren den Nachfragerückgang.

Branchenanalysten sehen in den aktuellen Zahlen weniger ein Evonik-spezifisches Problem als vielmehr ein strukturelles Symptom der europäischen Chemiewirtschaft. Der Druck aus Asien, insbesondere aus China mit steigenden Exportüberschüssen, verschärft die Situation zusätzlich.
Investoren reagieren skeptisch
An der Börse dürfte die erneute Anpassung der Prognose Fragen nach der Strategie des Konzerns aufwerfen. Zwar setzt Evonik langfristig auf Wachstumsfelder wie Biotechnologie, Additive Manufacturing und nachhaltige Materialien. Doch kurzfristig bestimmen schwache Margen und sinkende Volumina das Bild.
Die Gewinnwarnung unterstreicht, dass selbst große Konzerne mit diversifizierten Portfolios kaum in der Lage sind, sich dem Abwärtssog der Branche zu entziehen. Für Investoren bedeutet das vor allem eines: Geduld.
Ein Konzern im Übergang
Evonik-Chef Christian Kullmann hat wiederholt betont, dass das Unternehmen trotz der aktuellen Schwäche am Kurs der Transformation festhält. Doch die Zahlen zeigen, wie groß die Diskrepanz zwischen Strategie und Marktrealität derzeit ist.
Die Prognosesenkung wirkt wie ein Warnsignal für die gesamte deutsche Chemie: Ohne eine spürbare Erholung der Weltkonjunktur bleibt die Branche im Rückwärtsgang. Evonik ist damit zum Symbol einer Industrie geworden, die im globalen Wettbewerb zwischen hohen Kosten und schwacher Nachfrage zerrieben zu werden droht.
