13. September, 2025

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Berlin verliert Vertrauen am Anleihemarkt – warum Investoren Deutschland kritischer sehen

Die Renditen deutscher Staatsanleihen steigen, während US-Treasuries fallen. Ein Warnsignal, das tiefer geht als reine Zinsentscheidungen – und die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in Frage stellt.

Berlin verliert Vertrauen am Anleihemarkt – warum Investoren Deutschland kritischer sehen
Gefahr für den Finanzstandort: Steigende Renditen bei Bundesanleihen zeigen: Internationale Anleger verlangen mehr Risikoaufschlag – ein Alarmsignal für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.

Ein Blick auf die Renditen – und was sie bedeuten

Anleger beobachten aufmerksam, wie sich die Zinslandschaft verschiebt. Während US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit seit Jahresbeginn von 4,6 auf 4,1 Prozent nachgegeben haben, kletterten die Bundesanleihen im gleichen Zeitraum von 2,4 auf 2,7 Prozent. Der Abstand zwischen beiden Märkten schrumpfte von 2,2 auf 1,4 Prozentpunkte.

Bemerkenswert: In den USA hält die Federal Reserve die Zinsen seit Monaten konstant. In der Eurozone hat die EZB dagegen seit Dezember 2024 vier Zinssenkungen vorgenommen – insgesamt um einen Prozentpunkt. Eigentlich hätte dies den Druck auf deutsche Anleiherenditen mindern sollen. Doch das Gegenteil passiert.

Bundesanleihen - Deutsche Finanzagentur
Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH

Warum Investoren den USA mehr zutrauen

Der Unterschied liegt im Wachstum. Trotz hoher Defizite läuft die US-Wirtschaft robust, getrieben von Investitionen, Konsum und Innovationskraft. Neue Schulden werden dort durch höhere Steuereinnahmen flankiert. In Deutschland dagegen wächst die Skepsis, dass die Ausgaben nicht in langfristige Produktivität, sondern in kurzfristige Entlastungen und zusätzlichen Verwaltungsapparat fließen.

Finanzminister Lars Klingbeil plant bis 2029 zusätzliche Kredite von mehr als 850 Milliarden Euro. Doch laut Bundesbank landet ein erheblicher Teil des Spielraums nicht in Infrastruktur oder Innovation, sondern in Personalausbau und Transferleistungen.

Das Risiko eines Strohfeuers

Kapitalmarktstrategen wie Tilmann Galler von JP Morgan warnen vor einem gefährlichen Muster: Staatliche Investitionsprogramme wirken nur dann nachhaltig, wenn sie mit Strukturreformen einhergehen.

Wachstum ohne Fundament: Laut führenden Instituten basiert das für 2026/27 erwartete Plus fast ausschließlich auf staatlichen Impulsen und Sondereffekten – nicht auf echter Produktivität.

In Deutschland fehlen jedoch Reformen bei Bürokratie, Energiepreisen und Arbeitsmarkt. Stattdessen droht ein schuldenfinanziertes Strohfeuer, das nach Ablauf der Programme lediglich höhere Schulden, nicht aber höhere Wachstumsraten hinterlässt.

Vier führende Wirtschaftsforschungsinstitute stellten jüngst fest: Der für 2026 und 2027 prognostizierte Aufschwung basiert fast ausschließlich auf fiskalischen Impulsen und Sondereffekten wie der Feiertagslage – nicht auf echter wirtschaftlicher Dynamik.

Ein bitteres Signal aus dem Kapitalmarkt

Anleihemärkte sind gnadenlos ehrlich. Dass Investoren den USA derzeit eine stabilere Schuldentragfähigkeit zutrauen als Deutschland, ist ein klares Misstrauensvotum an Berlin. Noch besteht die Möglichkeit gegenzusteuern – mit einer Mischung aus gezielten Investitionen, Reformen und mehr Glaubwürdigkeit in der Finanzpolitik.

Wenn die Regierung diesen Weckruf ignoriert, wird der Preis dafür nicht nur in steigenden Renditen sichtbar. Er zeigt sich in wachsender Distanz der Investoren – und in einer gefährlichen Schwächung des Finanzstandorts Deutschland.

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