15. Juli, 2025

Unternehmen

Bau dir die Zukunft – Wie Nemetschek zur unsichtbaren Macht am Bau wurde

Mit Software, die Architekten, Ingenieuren und Baukonzernen Zeit, Nerven und Millionen spart, mischt die Münchner Nemetschek Group die weltweite Bauindustrie auf. Jetzt geht der Milliardenkonzern in die nächste Offensive – mit KI, Mega-Deals und einem Büro in Saudi-Arabien.

Bau dir die Zukunft – Wie Nemetschek zur unsichtbaren Macht am Bau wurde
Obwohl Nemetschek ein deutsches Unternehmen ist, stammt der Großteil des Umsatzes aus dem Ausland. Deutschland hinkt bei der Digitalisierung des Bauwesens hinterher – ein Risiko für den Standort, ein Vorteil für den Konzern.

Die Digitalisierung auf der Baustelle hinkt Jahrzehnte hinterher. Die Nemetschek Group aus München will das ändern – und hat längst bewiesen, dass sie kann, was andere nur versprechen.

Wenn Yves Padrines über seine Kundschaft spricht, klingt es wie eine Mischung aus Erziehungsarbeit und Hightech-Verkauf. „In kaum einer Branche ist der Digitalisierungsgrad so niedrig wie am Bau“, sagt der Chef des Softwarekonzerns Nemetschek – und fügt mit einem schiefen Grinsen an:

„Nicht einmal die Fischerei ist noch analoger.“ Es ist diese Mischung aus Spott und Ambition, mit der Padrines seit 2022 antritt, um eine ganze Branche umzupflügen.

Papiere, Pläne, Pannen: Der Bau steht sich selbst im Weg

Ob Flughafen BER, Stuttgart 21 oder Elbphilharmonie – die Großprojekte der Republik sind oft Mahnmale einer analogen Welt. Fehlerhafte Planungen, chaotische Abstimmungen, explodierende Kosten.

Quelle: Eulerpool

Für Padrines und sein 4.000-köpfiges Team aus Softwareentwicklern, Bauingenieuren und Produktdesignern ist das kein Fluch, sondern Geschäftsmodell. Denn mit 13 spezialisierten Tochterfirmen bietet die Nemetschek Group Werkzeuge für die gesamte Wertschöpfungskette am Bau: von der Entwurfsplanung über die Baustellenkoordination bis zur Gebäudeüberwachung.

Und das Geschäft läuft. Im Jahr 2024 setzte Nemetschek knapp eine Milliarde Euro um – mit einer traumhaften Ebit-Marge von 23,5 Prozent. An der Börse ist das Unternehmen inzwischen rund 14 Milliarden Euro wert – nur SAP ist in Deutschland als Softwarefirma größer.

Quelle: Eulerpool

Brisbane als Blaupause: Was passiert, wenn alle endlich zusammenarbeiten

Wie Nemetschek in der Praxis funktioniert, zeigt das Mammutprojekt Queen’s Wharf in Brisbane, Australien. Dort sollen auf zwölf Hektar Fläche neue Wohnungen, Hotels und Restaurants entstehen – 39 Gewerke, 300 Menschen, ein gemeinsames Ziel.

Was früher ein bürokratisches Chaos mit Tausenden Plänen und unzähligen E-Mails war, wurde mit Nemetscheks Software zum orchestrierten Baukonzert. Zeichnungen prüfen? Geht jetzt in der Hälfte der Zeit. Entscheidungswege? Kürzer, weil alle dieselben Daten sehen.

Für die Branche bedeutet das: weniger Streit, weniger Stillstand, weniger Millionenverluste. Und für Nemetschek: ein international skalierbares Modell mit Alleinstellungsmerkmal.

Gegründet wurde Nemetschek 1963 vom gleichnamigen Bauingenieur. Heute ist der Gründer 91 – und noch immer Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats. Seine Familie hält über Stiftungen und Beteiligungen die Mehrheit am Unternehmen, das längst in eine neue Ära aufgebrochen ist.

Yves Padrines, früher Musikmanager bei Deezer, leitet das Haus nun wie ein Start-up mit Milliardenbewertung. Der größte Deal seiner bisherigen Amtszeit: der Kauf des US-Unternehmens GoCanvas für rund 708 Millionen Euro – ein Spezialist für Baustellen-Datenmanagement.

Riad, KI und Abo-Geschäft: Das neue Playbook

Doch die Nemetschek-Strategie geht weit über Übernahmen hinaus. Erst stellte Padrines das Geschäftsmodell um – weg vom Lizenzverkauf, hin zu wiederkehrenden Abo-Einnahmen („Software as a Service“). Der Plan ging auf: Der Anteil der regelmäßig wiederkehrenden Umsätze liegt inzwischen bei über 50 Prozent.

Dann folgte der nächste Coup: Der Konzern expandiert in neue Märkte, etwa nach Saudi-Arabien. In Riad entsteht gerade das erste Büro – als Teil von „Vision 2030“, dem ambitionierten Zukunftsplan der saudischen Regierung. Nemetschek will dort mehr als nur Software verkaufen – sondern aktiv am Bau der Stadt der Zukunft mitwirken.

Prestige trifft Planungschaos – Queen’s Wharf als Nagelprobe für BIM-Technologie: Das Milliardenprojekt in Brisbane setzt auf digitale Planung mit Nemetschek-Software – doch Verzögerungen und Kostenexplosionen zeigen: Auch modernste Tools schützen nicht vor politischen Grabenkämpfen und Baufehlern.

Und auch technologisch wird aufgerüstet: Digitale Zwillinge, 4D-Simulationen, KI-gestützte Modelle – was in der Baubranche oft nach Zukunftsmusik klingt, ist bei Nemetschek längst Standard. Möglich macht das ein einheitliches Datenmodell namens Open BIM, das Planer, Bauleiter und Betreiber endlich auf denselben Wissensstand bringt – eine Art Google Docs für Architekten.

Neue Märkte, neue Kunden – und ein zweites Standbein mit Apple

Wer glaubt, Nemetschek baue nur für Bauunternehmen, irrt. Denn über die Tochter Maxon verkauft die Firma auch Visualisierungssoftware für die Medienbranche – und beliefert damit Größen wie Apple, Disney, Netflix oder Meta.

Auch kleine Gaming-Studios greifen auf die Tools zurück. Was auf den ersten Blick fremd wirkt, ist strategisch klug: Denn die Schnittmenge zwischen Bau und Medien liegt in der Simulation – und das Know-how aus beiden Welten lässt sich synergetisch nutzen.

Bauindustrie: 10 Prozent Wachstum – und Deutschland hinkt hinterher

Branchenexperten wie Bain-Partner Thomas Nachtwey rechnen bis 2027 mit einem jährlichen Wachstum von rund zehn Prozent im Bausoftwaremarkt. Besonders im Segment „Bauen“ soll der Zuwachs sogar bei 15 Prozent liegen – eine Wachstumsstory, wie sie Tech-Investoren lieben.

Nur Deutschland scheint von dieser Dynamik noch wenig mitzubekommen: Gerade einmal 18 Prozent des Nemetschek-Umsatzes stammen aus dem Heimatmarkt. Der Rest entfällt auf Europa, Asien – und vor allem die USA.

Damit sich das ändert, investiert Nemetschek in Ausbildung. In Kooperation mit Universitäten werden Studierende gezielt an die Software herangeführt. Denn der Nachwuchs entscheidet, ob Europas Bauwesen digital wird – oder analog bleibt.

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