Einigkeit auf den Gleisen, Uneinigkeit an der Grenze
Der symbolträchtige Besuch von Bundeskanzler Friedrich Merz bei Polens Ministerpräsident Donald Tusk liefert zwei Bilder: eines der Zusammenarbeit – und eines des Dissenses.
Während sich beide Regierungschefs beim Thema Bahn- und Militärinfrastruktur demonstrativ einig geben, prallen bei der Migrationspolitik unversöhnliche Positionen aufeinander.
Der Streit um Grenzkontrollen offenbart die alte Spannung zwischen deutscher Ordnungspolitik und polnischer Souveränität – und wird mitten im Wahlkampf zur Bühne geopolitischer Symbolik.
Verteidigung auf der Schiene
Die geplante Modernisierung der Bahnverbindungen zwischen Deutschland und Polen hat eine klare geopolitische Dimension. Was sich nach europäischem Infrastrukturprojekt anhört, ist in Wahrheit ein sicherheitspolitisches Signal.
Die Nato will im Ernstfall schnell Truppen und Material nach Osten verlegen können – das Schienennetz wird zum taktischen Rückgrat. Tusk bringt es auf den Punkt:
„Die Infrastruktur darf nicht mehr an der Elbe enden, sondern am Bug.“
Merz pflichtet bei und nennt Warschau in einem Atemzug mit Paris und Brüssel. Das ist nicht nur rhetorisch, sondern strategisch – und für Polen eine Anerkennung als zentraler Pfeiler der östlichen Nato-Flanke.

Berlin zahlt, Rzeszów dankt
Ein weiteres Zeichen militärischer Nähe: Die deutsche Bundeswehr schützt mit ihrem Patriot-System weiterhin den südostpolnischen Flughafen Rzeszów – ein zentraler Umschlagplatz für westliche Waffenlieferungen an die Ukraine.
Tusk bat Merz öffentlich um Verlängerung des Einsatzes, Deutschland hatte nach dem Rückzug der Amerikaner rasch reagiert. Merz lobte die „verlässliche Partnerschaft“ – was bei der sicherheitsorientierten Merz-CDU fast wie ein außenpolitisches Staatsbekenntnis klingt.
Grenzdebatte im Wahlkampfmodus
Doch kaum ist das Thema Migration auf dem Tisch, wird es frostig. Während Merz seine innenpolitische Agenda umsetzt – verschärfte Kontrollen, Zurückweisungen, Signalwirkung –, kontert Tusk ungewohnt scharf: Wer an der Grenze kontrolliere, werde selbst kontrolliert.
In Polen, wo demnächst Präsidentschaftswahlen anstehen, ist die Abgrenzung gegenüber Berlin ein bewährtes Mittel, um nationale Stärke zu demonstrieren. Die Aussage, Polen werde „nur aufnehmen, wen es akzeptiert“, ist eine direkte Ohrfeige für Merkelsche Flüchtlingspolitik – und Merz' Versuch, an deren Bruchlinie eine neue Linie zu ziehen.
Gemeinsame Infrastruktur, geteilte Interessen
Der Ausbau der Ostverbindungen mag technisch machbar sein – politisch ist die Strecke holprig. Denn was nach Verkehrspolitik aussieht, ist in Wahrheit ein Testfall für europäische Kohärenz: Kann ein geeintes Europa zugleich für offenen Handel, aber kontrollierte Grenzen stehen? Und wer bestimmt, wo Kooperation endet und nationale Interessen beginnen?
Polen und Deutschland demonstrieren derzeit beides – Einigkeit und Entfremdung. Die nächsten Monate werden zeigen, ob das Gleis in Richtung Gemeinsamkeit führt – oder ob die Weiche längst gestellt ist.
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