20. Mai, 2024

Wirtschaft

Auf den Spuren des Kapitalrings: Ein Plädoyer für die Wohnungspolitik

Auf den Spuren des Kapitalrings: Ein Plädoyer für die Wohnungspolitik

Während meiner Wanderung entlang des 78 Meilen langen Capital Rings in London hat mich eine unverkennbare Erkenntnis gepackt: Die Metropole bietet ungenutztes Potenzial für neuen Wohnraum. Diese grüne Schleife verbindet Parks, Freiflächen und Flüsse – und ja, sogar ein Biberreservat – und offenbart bei jedem unbebauten Fleckchen oder in die Jahre gekommenen Einzelhandelsflächen eine klare Botschaft: Hier könnten Hunderte, wenn nicht gar Tausende Wohnungen entstehen. Mein Spaziergang entpuppte sich schnell zur enthusiastischen Städteplanungsvorlesung, die ich nicht lassen konnte, meiner Frau mitzuteilen.

London ist zweifellos eine imposante Metropole, gepriesen für ihre effizienten Verkehrsmittel und ausladenden Grünflächen. Jedoch kämpft die Stadt mit ökonomischen Problemen, die nicht auf Umweltzonen, Kriminalität oder lokale Politprominenz zurückzuführen sind. Seit der globalen Finanzkrise 2008-2009 liegt das Produktivitätswachstum der Hauptstadt unter dem des restlichen Vereinigten Königreiches. Darunter leiden vor allem die stanierenden Löhne und explodierende Wohnkosten. Die Relation von Hauspreisen zum Einkommen hat sich von anderen Regionen entkoppelt, Mieten steigen rasant und der erhaltene Wohnraum ist knapp bemessen.

Ohne ein langfristig gesichertes Einkommen, wohlhabende Eltern, Erbschaften oder ein sehr hohes Einkommen gestaltet sich der Lebensstandard nach Abzug der Wohnkosten als niedrig. Ein Umzug in wirtschaftlich schwächere Regionen erscheint oft als einziger Ausweg aus dem Dilemma von geringem Lebensstandard versus Karrierechancen – eine traurige Wahl.

Ein alarmierendes Zeichen für die Zukunft sind die rapide sinkenden Einschulungen in Londons Grundschulen. Diese Entwicklung ist deutlich rasanter als im restlichen Land und zeugt davon, dass es sich Familien immer weniger leisten können, Kinder in der Hauptstadt großzuziehen.

Die Lösung dieses Dilemmas spaltet die Meinungen. Eine vom Center for Analysis of Social Exclusion der London School of Economics vorgebrachte Lösung verzichtet auf den Bau neuer Häuser. Stattdessen werden Surcharges für überschüssigen Wohnraum, Zwang zur Wohngemeinschaftsbildung und Verbote von Zweitwohnungen vorgeschlagen. Doch die Idee, Wohnraum mit einer Sondersteuer zu belegen, wie bei Sündensteuern üblich, stößt nicht nur auf ökonomische Bedenken, sie widerspricht auch dem menschlichen Streben nach einem individuellen Zuhause.

Eine zweite Lösung, die ich persönlich bevorzuge, ist der Massenwohnungsbau, trotz der Tatsache, dass dies ein Langzeitprojekt ist, da neue Wohnungen im Vergleich zum Bestand stets ein Tröpfeln bleiben werden. Es erfordert tiefgreifende Vereinfachungen und Lockerungen der Bauplanungsvorschriften sowie die Akzeptanz von außergewöhnlichen Ergebnissen, um Wohnungseigentümern mehr Freiheiten zu gewähren.

Dieser Ansatz fördert das Bestreben der Menschen, ihre Lebensträume zu realisieren. Das derzeitige Überangebot bewirkt, dass zusätzliches Einkommen allzu oft durch steigende Wohnkosten aufgezehrt wird, was zu Unzufriedenheit führt. Niemand, der den Capital Ring entlangwandert, kann mir weismachen, dass es in London an Raum mangelt.