Wenn Theo Albrecht junior die Kantine betritt, ist das Ritual fast symbolisch: Routine inmitten des Umbruchs. Der 75-jährige Erbe von Aldi Nord hält an alten Gewohnheiten fest – während sich das Discountimperium neu erfindet.
Nach Jahren der Machtkämpfe zwischen den Stiftungen und Familienstämmen herrscht zum ersten Mal seit Jahrzehnten Frieden im Hause Albrecht. Und das spürt man – nicht nur in Essen, sondern auch an der Kasse.
Denn während Konkurrent Lidl mit aggressiver Expansion und digitaler Effizienz davonzog, kämpfte Aldi lange mit sich selbst. Familienstreit, Modernisierungsstau, Sortimentschaos – der einstige Preisführer wirkte träge. Doch jetzt, zwei Jahre nach der internen Neuordnung, zieht Aldi wieder an – und setzt auf das, was den Konzern einst groß machte: Einfachheit, Preisdisziplin und kompromisslose Effizienz.
Alte Tugenden, neue Härte
Torsten Hufnagel, Chef von Aldi Nord, hat das Rad nicht neu erfunden – aber zurückgedreht. Statt hipper Markenvielfalt und Lifestyle-Produkten kehrt der Konzern zu seinen Wurzeln zurück: klare Sortimente, weniger Varianten, niedrigere Preise.
„Zurück zu den Discount-Wurzeln“, nennen das Insider – und die Bilanz gibt Hufnagel recht. Nach Jahren roter Zahlen schloss Aldi Nord 2024 erstmals in allen acht europäischen Märkten mit Gewinn ab, bei einem Umsatz von über 30 Milliarden Euro.
Das Geheimnis: ein radikal vereinfachtes Sortiment, optimierte Lieferketten und modernisierte Filialen, die weniger glänzen, dafür schneller verkaufen. Im Schnitt umfasst das Angebot nun rund 1.600 Artikel – 40 Prozent weniger als noch 2019.
Und die Zahlen sprechen für sich: Laut Branchenverband EuroCommerce hat Aldi Nord in Frankreich, Dänemark und Polen Marktanteile von bis zu zwei Prozentpunkten zurückgewonnen – kleine Sprünge in einer Branche, in der jeder Prozentpunkt Millionen bedeutet.
Der Frieden, der alles veränderte
Dass Aldi überhaupt wieder handlungsfähig ist, verdankt das Unternehmen einem Mann, den außerhalb der Branche kaum jemand kennt: Emil „Mille“ Huber, langjähriger Familienanwalt und stiller Machtvermittler.
Er beendete 2023 den jahrzehntelangen Konflikt zwischen den beiden Albrecht-Stämmen. Aus einem zerstrittenen Stiftungsgeflecht entstand eine gemeinsame Holding, paritätisch besetzt, erstmals mit externen Aufsichtsräten – unter ihnen Weleda-Chefin Tina Müller und Ex-McKinsey-Deutschlandchef Frank Mattern.

Der interne Waffenstillstand war mehr als Symbolik. Er war die Voraussetzung dafür, dass Aldi Nord wieder investieren konnte – in Märkte, Logistik und Technologie. Und vor allem: in Geschwindigkeit.
Aldi Süd zieht global davon
Während im Norden die Sanierung läuft, blickt der Süden nach Übersee. Aldi Süd, rund dreimal so groß wie die Schwester aus Essen, expandiert mit einem Tempo, das selbst Lidl staunen lässt.
Unter dem Australier Tom Daunt, der ab 2026 allein an der Spitze stehen wird, will Aldi Süd bis 2028 rund 800 neue Filialen in den USA eröffnen.
Auch in Australien, Großbritannien und China wächst der Discounter – mit angepassten Sortimenten, effizientem Eigenmarkenmanagement und einer unaufgeregten Marketingstrategie, die auf Preiswahrnehmung statt Markenimage setzt.
Während Lidl in den USA mit hohen Logistikkosten kämpft, spielt Aldi Süd dort seine größte Stärke aus: radikale Standardisierung. Jede Filiale gleicht der nächsten – vom Regal bis zur Beleuchtung.

Lidl bleibt gefährlich
Doch die Ruhe ist trügerisch. Denn Dieter Schwarz’ Handelsimperium schläft nicht. Lidl investiert weiter massiv in Eigenmarken, Nachhaltigkeitslabel und Digitalisierung. Die digitale Supply Chain, die Schwarz Gruppe und SAP gemeinsam entwickelt haben, gilt in der Branche als Blaupause der Zukunft.
Hinzu kommt: Während Aldi den Schritt in die Onlinewelt bisher weitgehend meidet, testet Lidl längst digitale Kundenbindungssysteme, Lieferoptionen und KI-gestützte Preissteuerung. Der nächste Preiskrieg dürfte also nicht an der Kasse, sondern im Algorithmus entschieden werden.
Zwei Strategien, ein Ziel
Der neue Aldi-Kurs ist nicht spektakulär – aber konsequent. Der Discounter setzt wieder auf das, was ihn jahrzehntelang unantastbar machte: Preise, Prozesse, Prinzipien. Lidl dagegen bleibt der Innovator – technologiegetrieben, markenoffen, omnipräsent.
Doch beide eint ein Ziel: die Rückeroberung des europäischen Discountthrons. Der Markt ist längst gesättigt, die Margen schmal – und wer überleben will, muss perfektionieren, nicht experimentieren.
Und so stehen sich die alten Rivalen wieder dort gegenüber, wo alles begann: im Kampf um den letzten Cent – und den nächsten Kunden.
Der stille Generationenwechsel
Hinter den Kulissen bereitet sich Aldi zudem auf den Generationswechsel vor. Theo Albrecht junior hat sich in den Aufsichtsrat zurückgezogen, seine Rolle ist heute mehr symbolisch – doch das Signal ist klar: Die Ära der Familienkriege ist vorbei.
Statt Clanpolitik regieren nun Manager, Berater und Effizienzkennzahlen. Was bleibt, ist das Vermächtnis zweier Brüder, die vor mehr als 60 Jahren eine Branche revolutionierten.
Die neuen Erben wollen daran anknüpfen – mit weniger Emotion, aber mehr Strategie.
