09. Juli, 2025

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511 Milliarden Euro im Schatten – und der Staat schaut zu

Schwarzarbeit auf Staatskosten – Wie Unternehmen und Bürgergeldempfänger das System ausnutzen.

511 Milliarden Euro im Schatten – und der Staat schaut zu
511 Milliarden Euro Schwarzarbeit in Deutschland – während die BA-Chefin Andrea Nahles vor allem von „Reformprozessen“ spricht, fehlen dem Zoll über 2.400 Kontrolleure.

Wer in Deutschland aktuell auf ehrliche Arbeit setzt, braucht starke Nerven. Während die Politik über Fachkräftemangel, Produktivitätskrise und steigende Sozialkosten diskutiert, floriert ein ganz anderer Wirtschaftszweig: die Schattenwirtschaft.

511 Milliarden Euro – ein Zwölftel der gesamten Wirtschaftsleistung – wird mittlerweile unter der Hand erwirtschaftet. Ein Rekordwert.

Besonders perfide: Die Kombination aus staatlicher Grundsicherung und Schwarzarbeit hat sich für viele als dauerhafte Einnahmequelle etabliert. Und für manche Arbeitgeber als Geschäftsmodell.

Das große Schweigen der Behörden

Auf einem Presseseminar der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Lauf versucht BA-Chefin Andrea Nahles, die Debatte auf die Zukunft der Jobvermittlung zu lenken.

Doch die Fragen drehen sich um etwas anderes: Was unternimmt die BA gegen den Sozialleistungsmissbrauch? Wie will sie die 1,5 Milliarden Euro einsparen, die das Arbeitsministerium ins Auge fasst? Ihre Antwort: "Zuständig ist der Zoll."

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), unterstellt dem Bundesfinanzministerium, ist für die Aufdeckung illegaler Beschäftigung zuständig. Doch die ist chronisch unterbesetzt: 11.941 Stellen wären vorgesehen, doch besetzt sind nur 9.477.

Der Plan, künftig mehr zu kontrollieren, droht also schon an der Personaldecke zu scheitern. Ein Land, das sich nach außen als Hochtechnologiestandort präsentiert, bekommt es nicht hin, seine Schattenwirtschaft ernsthaft zu bekämpfen.

Bürgergeld plus Schwarzarbeit: Für viele ein lukratives „Kombilohn-Modell“, für den Staat ein Milliardengrab – die Kontrollen bleiben rar.

Schwarzarbeit und Bürgergeld: Ein lukratives Modell

"Viele Arbeitgeber haben genau das zum Geschäftsmodell gemacht", sagt Berufsberater Markus Karbaum. Seit 15 Jahren arbeitet er mit Langzeitarbeitslosen, kennt ihre Strategien.

Ein typischer Fall: Ein Mann arbeitet seit 16 Jahren im gleichen Restaurant – offiziell nur in Minijob-Größe, tatsächlich aber in Vollzeit. Den Rest zahlt der Staat, dank Aufstocker-Regelung. Wer zwischendurch dem Jobcenter einen Minijob meldet, entgeht künftigen Kürzungen. Der Trick ist bekannt – und wird laut Karbaum massenhaft genutzt.

Besonders verbreitet ist das Vorgehen in Branchen wie Gastronomie, Hotellerie, Nagelstudios oder auf dem Bau. Arbeitgeber sparen sich Sozialabgaben, Krankengeld und Lohnfortzahlung. Die Angestellten kassieren weiter Bürgergeld, lassen sich Miete, Heizkosten und Zusatzleistungen bezahlen. Ein informeller Kombilohn, abgesichert durch das Sozialsystem.

"Bürgergeld-Mafia" oder strukturelles Versagen?

Finanzwissenschaftler Friedrich Schneider von der Uni Linz hat das Volumen der Schwarzarbeit auf 511 Milliarden Euro geschätzt.

Der offizielle Zollbericht decke nur einen Bruchteil ab, die wahre Dimension erschließe sich aus der Geldmenge, die außerhalb der offiziellen Wirtschaftsleistung im Umlauf ist. Die Dunkelziffer sei hoch, die Kontrollen zu schwach, der politische Wille begrenzt.

Arbeitsministerin Bärbel Bas spricht von mafiösen Strukturen. Doch wo bleibt die Offensive gegen diese Zustände? Die Wahrheit ist unbequemer: Der Staat weiß, dass hier Milliarden versickern.

Doch die Schnittstellen zwischen den Behörden sind mangelhaft, Datenschutz verhindert den Datenaustausch zwischen Familienkasse und Jobcenter – obwohl beides zur BA gehört. Hinweise auf Betrug dürfen nicht weitergegeben werden. Die Verwaltung schaut weg, weil sie es offenbar muss.

Der Preis der Toleranz

Die BA gesteht ein, dass man mit den angedachten Einsparungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro unrealistisch hoch gegriffen hat. Realistisch seien vielleicht 100 bis 150 Millionen Euro.

Im Jahr 2023 wurden gerade einmal 21 Millionen Euro durch Sanktionen und Rückforderungen eingespart. Im Vergleich zu den 50 Milliarden Euro, die das Bürgergeld-System pro Jahr kostet, sind das statistische Rundungsfehler.

Was wirklich hilft? Kontrolle. Nicht nur bei den Armen

Der Ruf nach härteren Sanktionen gegen Bürgergeldempfänger verkennt die andere Seite: Es sind Unternehmen, die das System gezielt ausnutzen.

Wer wirklich reformieren will, muss beides tun: die finanziellen Fehlanreize im Sozialsystem abbauen – und zugleich jene zur Verantwortung ziehen, die auf Kosten des Steuerzahlers illegale Beschäftigung betreiben. Derzeit passiert beides nicht. Dafür steigt das Volumen der Schattenwirtschaft von Jahr zu Jahr.

Ein Wirtschaftssystem, das solche Parallelökonomien toleriert, riskiert langfristig seine eigene Legitimität.

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