01. Juli, 2025

Politik

3,3 Millionen Asylmigranten – was die Statistik verschweigt

Trotz sinkender Duldungen steigt die Zahl der Schutzsuchenden in Deutschland weiter – doch eine neue Gesetzeslage macht die offizielle Zählung zunehmend undurchsichtig.

3,3 Millionen Asylmigranten – was die Statistik verschweigt
Statistik mit Lücken: Wer durch das „Chancen-Aufenthaltsrecht“ einen Aufenthaltstitel erhält, wird aus der Asylstatistik gestrichen – auch wenn sich an der Lebenssituation wenig ändert.

Ein paar Straßen weiter wird gebaut. Hochmoderne Mehrfamilienhäuser entstehen am Rand einer ostdeutschen Kleinstadt. In einem davon wohnt Samira S., 33 Jahre alt, mit ihren beiden Kindern.

Sie kam 2015 aus Syrien nach Deutschland. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt – doch sie blieb. Erst geduldet, später bekam sie einen befristeten Aufenthaltstitel. „Ich arbeite inzwischen halbtags als Pflegehelferin.

4 % mehr Schutzsuchende im Jahr 2024
Zum Jahresende 2024 waren in Deutschland rund 3,3 Millionen Menschen als Schutzsuchende im Ausländerzentralregister (AZR) erfasst. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, stieg die Zahl der registrierten Schutzsuchenden gegenüber dem Vorjahr um etwa 132 000 oder 4,1 %. Schutzsuchende sind Ausländerinnen und Ausländer, die sich nach Angaben des AZR unter Berufung auf völkerrechtliche, humanitäre oder politische Gründe in Deutschland aufhalten.

Dass ich überhaupt bleiben durfte, war Glück. Jetzt bin ich offiziell kein Asylmigrant mehr“, sagt sie. In der Statistik taucht sie damit nicht mehr auf.

Und genau hier beginnt das Problem.

Offiziell 3,3 Millionen – aber wie viele wirklich?

Laut Statistischem Bundesamt lebten Ende 2024 rund 3,3 Millionen Asylmigranten in Deutschland. Das entspricht einem Anstieg von 132.000 Personen innerhalb eines Jahres – ein Plus von 4,1 Prozent.

Hauptursache: der Krieg in der Ukraine. Mit über 1,1 Millionen registrierten Flüchtlingen stellt das osteuropäische Land mittlerweile mehr als ein Drittel aller Schutzsuchenden in Deutschland. Syrer (713.000), Afghanen (348.000) und Türken (157.000) folgen auf den weiteren Plätzen.

Doch die amtliche Statistik trügt. Durch das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht, das 2022 eingeführt wurde, werden Hunderttausende ehemalige Asylbewerber aus der offiziellen Zählung herausgerechnet – obwohl sie weiterhin im Land leben, häufig mit Duldung oder befristetem Status.

Wer fünf Jahre lang nur geduldet war, erhält nun für 18 Monate einen Aufenthaltstitel – mit Option auf Dauerbleiberecht.

Jung, männlich, perspektivlos? Zwei Drittel der syrischen und afghanischen Asylmigranten sind Männer unter 30 – das stellt Integrations- und Arbeitsmarktpolitik vor enorme Herausforderungen.

Politisch nützlich, statistisch fragwürdig

Auf dem Papier sinkt dadurch die Zahl der Ausreisepflichtigen – von 219.000 im Jahr 2022 auf 136.000 im Jahr 2024. Kritiker sehen darin eine politisch motivierte Schönung der Zahlen.

Denn real ändert sich am Aufenthaltsstatus der Betroffenen wenig: Sie bleiben im Land, viele weiterhin ohne geklärte Perspektive.

„Das ist kein Zynismus, das ist Statistikpolitik“, sagt eine Mitarbeiterin eines Ausländeramts in Sachsen-Anhalt, die anonym bleiben will. „Wer aus der Statistik verschwindet, ist nicht aus dem Land verschwunden.“

Neue Migrationsdynamik: Türkei, Südamerika, Ostafrika

Während die große Aufmerksamkeit weiterhin auf den klassischen Herkunftsländern liegt, zeigt die jüngste Analyse der Wiesbadener Behörde neue Trends: Die Zahl der Asylmigranten aus der Türkei hat sich in vier Jahren mehr als verdoppelt.

Auch aus Südamerika kommen immer mehr Menschen – mit einem Anstieg um 24 % auf über 22.000. Und aus Ostafrika stammen mittlerweile mehr als die Hälfte aller afrikanischen Asylbewerber.

Einzige signifikante Gegenbewegung: Georgien. Hier sank die Zahl der Asylmigranten um 23,5 % – dank eines 2023 geschlossenen Rückführungsabkommens und der Einstufung Georgiens als „sicheres Herkunftsland“. Ein Musterbeispiel für funktionierende Steuerung?

Ein Ost-West-Gefälle, das Fragen aufwirft

Die Verteilung ist regional extrem ungleich. Während der Ausländeranteil in Ostdeutschland mit 7,6 % weit unter dem westdeutschen Niveau (15,7 %) liegt, ist der Asylmigrantenanteil unter den Ausländern im Osten deutlich höher.

In Mecklenburg-Vorpommern sind 42 % der Ausländer Schutzsuchende, in Sachsen-Anhalt 42 %, in Thüringen 39 %. Zum Vergleich: In Bayern sind es 17 %, in Baden-Württemberg 18 %.


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Diese Zahlen lassen sich nicht durch Asylverfahren allein erklären – sie sprechen für strukturelle Herausforderungen in der Integration und Ansiedlungspolitik, insbesondere in Regionen mit ohnehin angespannten Arbeitsmärkten.

Wer kommt, wie alt – und mit welcher Perspektive?

Die Daten zeigen auch: Die Mehrheit der Asylmigranten ist jung. Im Schnitt 32 Jahre alt, zwei Drittel davon männlich – insbesondere unter Syrern und Afghanen.

Bei ukrainischen Geflüchteten ist der Frauenanteil mit 59 % am höchsten. 27 % der Schutzsuchenden sind Kinder oder Jugendliche. Die demographischen Unterschiede könnten in Zukunft über Integrationschancen, Bildung und Arbeitsmarktteilhabe mitentscheiden.

Doch was passiert mit den 427.000 Menschen, deren Verfahren noch nicht entschieden sind? Wie viele von ihnen werden künftig durch das Chancen-Aufenthaltsrecht ebenfalls aus der Statistik verschwinden – ohne wirklich angekommen zu sein?

Ein System, das immer schwerer zu durchschauen ist

Was also sagt die Zahl „3,3 Millionen Asylmigranten“ tatsächlich noch aus? Nicht viel, wenn man ehrlich ist. Sie ist ein Fragment, ein Puzzle, dessen Teile sich laufend verschieben. Je nach Status, Gesetzeslage und Zählweise.

Der Fall Samira S. steht exemplarisch für Tausende: offiziell kein Asylmigrant mehr, faktisch noch immer nicht voll integriert – zwischen Hoffnung, Bürokratie und Statistik.

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