Europa rüstet sich – politisch wie industriell
Nach monatelangem Tauziehen hat die EU ein milliardenschweres Programm beschlossen, um die Verteidigungsindustrie zu stärken. 1,5 Milliarden Euro sollen bis Ende 2027 in Forschung, Produktion und gemeinsame Beschaffungsprojekte fließen.
Ziel: Europa soll unabhängiger werden – militärisch wie technologisch.
Konkret geht es um neue Luftverteidigungssysteme, modernisierte Drohnenabwehr und den Ausbau der Rüstungsproduktion entlang der Ostflanke. Bis 2030 will die Union militärisch so aufgestellt sein, dass sie im Ernstfall nicht länger auf Washingtons Hilfe angewiesen ist.
Das Geld, das Europa zusammenschweißen soll
Das sogenannte EDIP-Programm (European Defence Industry Programme) soll die Industrie ankurbeln und gemeinsame Beschaffung endlich zur Regel machen. 27 Staaten kaufen bislang nach 27 verschiedenen Standards – teuer, ineffizient und politisch zersplittert.
Die neue Regelung sieht vor, dass nur europäische Unternehmen von den Fördergeldern profitieren sollen. Bauteile aus den USA oder Drittstaaten sind nur in Ausnahmefällen erlaubt. Zugleich wird die Ukraine stärker eingebunden – eine politische Geste, die klar signalisiert: Die Verteidigung Europas beginnt längst östlich der EU-Grenze.
Doch die Euphorie in Brüssel wird nicht überall geteilt. Das Budget von 1,5 Milliarden Euro ist aus Sicht vieler Experten zu klein, um Europas industrielle Abhängigkeit tatsächlich zu verringern.
„Das Programm ist ein Anfang, aber weit entfernt von dem, was nötig wäre, um Europas Verteidigungsfähigkeit bis 2030 zu sichern“, sagt der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler.

Kleine Summen, große Ambitionen
Tatsächlich wirken die Zahlen im Vergleich zu den Verteidigungsbudgets der Mitgliedsstaaten bescheiden. Deutschland allein plant 2025 Militärausgaben von mehr als 70 Milliarden Euro, Frankreich liegt ähnlich. 1,5 Milliarden über drei Jahre verteilt sind da eher symbolische Anschubhilfe – kein industriepolitischer Befreiungsschlag.
Hinzu kommt, dass viele Unternehmen längst an Kapazitätsgrenzen stoßen. Rheinmetall produziert bereits rund um die Uhr, Hensoldt meldet volle Auftragsbücher, Renk liefert Panzergetriebe für mehrere NATO-Staaten. Neue Fördermittel können zwar den Ausbau beschleunigen – doch sie lösen nicht das Grundproblem: zu wenige Fachkräfte, zu lange Genehmigungsprozesse und eine chronisch zögerliche europäische Koordination.
Anleger nehmen Gewinne mit
Während Politiker von europäischer Stärke sprechen, zeigen die Märkte ein anderes Bild. Am Freitagmorgen rutschten die Aktien der großen Rüstungskonzerne spürbar ab: Rheinmetall verlor vorbörslich rund 3,3 Prozent, Hensoldt 3,9 Prozent und Renk 3,6 Prozent. Selbst Airbus musste Federn lassen.
Der Grund: Gewinnmitnahmen. Nach monatelanger Rally und neuen Rüstungsaufträgen aus ganz Europa nutzen Investoren nun die Gelegenheit, Kasse zu machen. Gleichzeitig wirken diplomatische Signale aus den USA dämpfend. Präsident Trump sprach von einem „produktiven“ Telefonat mit Wladimir Putin und einer möglichen neuen Friedensinitiative. Ein Waffenstillstand – so vage er auch sein mag – drückt kurzfristig auf die Kurse der europäischen Waffenhersteller.
Zwischen Stabilisierung und Selbsttäuschung
Die Einigung auf den Rüstungsfonds ist zweifellos ein politischer Erfolg. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten ziehen die EU-Staaten in der Verteidigungspolitik an einem Strang. Doch wirtschaftlich bleibt der Effekt vorerst begrenzt. 1,5 Milliarden Euro sind kaum mehr als ein Symbol für Einigkeit – nicht aber der Beginn einer echten europäischen Rüstungsunion.
Europa hat sich entschieden, in der Verteidigung endlich Verantwortung zu übernehmen. Doch Verantwortung kostet Geld. Und die Summe, die Brüssel jetzt bereitstellt, reicht eher für ein Signal an Moskau als für ein neues Sicherheitszeitalter.
