Der DAX klettert von Rekord zu Rekord – 35 Höchststände allein in diesem Jahr. Doch je höher der Kurs, desto größer die Skepsis. Die Berichtssaison zum dritten Quartal steht bevor, und hinter der Fassade der Jahresendrally brodelt es. Deutschlands Schlüsselbranchen senden Warnsignale, die Konjunktur stagniert – und doch bleibt der Markt erstaunlich gelassen.
Ein Widerspruch? Nicht ganz. Denn die Antwort liegt weniger in Berlin als in Boston, Shanghai oder Singapur.
Wenn Rekorde trügen
SAP eröffnet am 22. Oktober die deutsche Bilanzsaison – und wird gleich zum Stimmungstest. Analysten erwarten für die DAX-Konzerne ein durchschnittliches Gewinnwachstum von zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Doch wer die Prognosehistorie kennt, weiß: Deutsche Analystenschätzungen sind notorisch optimistisch. In den USA werden Erwartungen oft übertroffen – in Deutschland eher verfehlt.

Dazu kommt: Der vermeintliche Gewinnsprung verzerrt. Ohne Bayer, das im Vorjahr mit Milliardenabschreibungen belastet war, sähe das Wachstum deutlich bescheidener aus. Rechnet man den Pharmariesen ein, ergibt sich zwar ein sattes Plus von 37 Prozent – aber mehr durch Statistik als durch Substanz.
Schwäche im Maschinenraum
Die Stimmung in der Industrie ist trüb. BMW warnte vor sinkenden Gewinnen, Mercedes kämpft mit Absatzproblemen in China – dem einstigen Goldmarkt der Premiumhersteller. Die deutsche Produktion insgesamt fiel im August um 4,3 Prozent – der stärkste Rückgang seit Beginn des Ukrainekriegs. Besonders hart traf es die Autoindustrie: minus 18,5 Prozent.
Dazu kommt eine Konjunktur, die nicht recht anspringen will. Die führenden Wirtschaftsinstitute erwarten für 2025 ein BIP-Wachstum von gerade einmal 0,2 Prozent – faktisch Stagnation. Die Basis für neue Rekorde sieht anders aus.
Der rettende Faktor heißt Weltwirtschaft
Und doch: Ganz so düster ist das Bild nicht. Die Welthandelsorganisation WTO hat ihre Prognose für 2025 überraschend angehoben – von 0,9 auf 2,4 Prozent Wachstum beim globalen Warenhandel. Im ersten Halbjahr stieg das Handelsvolumen sogar um 4,9 Prozent.
Das spielt den DAX-Konzernen direkt in die Karten. Rund 80 Prozent ihrer Umsätze erwirtschaften sie im Ausland – sie profitieren von internationalen Nachholeffekten, während die Binnenkonjunktur schwächelt. Kurz gesagt: Der DAX steigt, weil die Weltwirtschaft läuft, nicht weil Deutschland floriert.

Die stille Stärke: KI und Lagerlogik
Zwei Faktoren treiben derzeit globalen Handel und Unternehmensinvestitionen: KI-getriebene Ausgaben in der Tech-Industrie – und ein massiver, zollbedingt vorgezogener Lageraufbau in den USA. Beides stützt die Nachfrage nach deutschen Maschinen, Software und Hightech-Komponenten.
Vor allem der Mittelstand liefert in diese Wertschöpfungsketten hinein. Wer also nur auf die Autokonzerne blickt, verkennt, woher das Wachstum tatsächlich kommt.
Stabil in der Unsicherheit
Zwischen trüben Fundamentaldaten und glänzenden Kursen bleibt der DAX ein Spiegelbild der Globalisierung – kein Barometer der deutschen Wirtschaft. Kurzfristig dürfte die Berichtssaison die Stimmung dämpfen, langfristig aber stärkt der robuste Welthandel die Grundlage für weiteres Wachstum.
Der Widerspruch zwischen schwacher Heimat und starker Welt ist keine Schwäche – er ist das Geschäftsmodell deutscher Konzerne. Und das erklärt, warum der DAX trotz allem oben steht.
