02. Juni, 2025

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Zug ins Ungewisse – Bahn will mit Rabatten über Leerstellen hinwegtäuschen

Die Auslastung im Fernverkehr bleibt deutlich hinter den Erwartungen. Nun versucht die Deutsche Bahn, mit Rabatten und Flexpreis-Kosmetik das Vertrauen zurückzugewinnen – während Baustellen und Verspätungen weiter für Frust sorgen.

Zug ins Ungewisse – Bahn will mit Rabatten über Leerstellen hinwegtäuschen
Mit Frühbucher-Rabatten und flexibler Stornierung versucht die Bahn, die schwache Auslastung von nur 44 % im Fernverkehr schönzureden – vom Zielwert 50 % ist sie weit entfernt.

Wer dieser Tage mit dem ICE unterwegs ist, sieht es mit bloßem Auge: leere Sitzreihen, freie Viererplätze selbst zu Hauptreisezeiten. Und das, obwohl die Bahn eigentlich das Gegenteil erreichen wollte. 50 Prozent Auslastung hatte sich der bundeseigene Konzern für den Fernverkehr 2025 vorgenommen.

Die Realität? Gerade einmal 44 Prozent – und das nur in den traditionell starken ersten Monaten des Jahres. Im April sackte die Nachfrage dann spürbar ab. Die Ursache: eine Misere, die sich seit Jahren festgefahren hat.

Baustellen, die den Fahrplan zerreißen

Allein im April machten zahlreiche Baustellen aus Schnellfahrstrecken Zitterpartien. Die Folge: deutlich längere Fahrzeiten, verpasste Anschlüsse und entnervte Reisende. Die Bahn selbst räumt ein, dass viele Kunden inzwischen lieber auf andere Verkehrsmittel umsteigen.

Vertriebsvorständin Stefanie Berk spricht von „vielen potenziellen Fahrgästen, die sich Alternativen suchen“. Wer kann, fliegt wieder – oder nimmt das Auto. Selbst der Fernbus erlebt in Teilen eine Renaissance.

Rabatt statt Reform

Statt das Grundproblem der mangelnden Verlässlichkeit zu lösen, setzt die Bahn nun auf Verkaufspsychologie: Frühbucherrabatte, kostenfreie Stornierungen, gezielte Angebote für Senioren, Jugendliche und Geschäftsreisende.

Im April führten hunderte Baustellen zu massiven Verspätungen – viele Kunden wandten sich frustriert von der Bahn ab. Die Folge: ein Nachfrageeinbruch zur Hauptreisezeit.

Wer früh genug bucht, soll 20 % auf den Flexpreis erhalten. Die Botschaft: Vergesst die Verspätungen – bei uns könnt ihr jetzt wenigstens billiger enttäuscht werden.

Der längere Zug ist nicht die Lösung

Eine weitere Erklärung für die sinkende Auslastung liefert die Bahn gleich mit: Die Züge seien nun länger. Tatsächlich setzt der Konzern inzwischen vermehrt auf sogenannte XXL-ICEs mit bis zu 13 Wagen.

Doch was wie Effizienz klingt, ist oft einfach ein Versuch, den Nachfragerückgang zu kaschieren. Denn leere Sitzplätze in längeren Zügen helfen der Ökobilanz und der Gewinnzone herzlich wenig.

Systemversagen mit Ansage

Die Probleme sind strukturell, nicht saisonal. Zu wenig Personal, eine IT-Infrastruktur aus der Vor-Smartphone-Ära und ein Streckennetz, das modernisiert wird, während es gleichzeitig täglich Millionen Menschen transportieren soll – dieser Spagat gelingt immer seltener. Das Vertrauen der Reisenden ist längst angeschlagen. Rabatte allein werden das nicht heilen.

Politische Mitverantwortung

Als Staatsunternehmen genießt die Deutsche Bahn politischen Rückhalt – und steht gleichzeitig unter politischem Druck. Klimaziele, Verkehrswende, Digitalisierung: Die Erwartungen an den Konzern sind hoch.

Doch solange das operative Geschäft aus Baustellenmanagement, Personalnot und verspäteten Zügen besteht, bleibt der Imagewandel reine PR-Arbeit.

Der Zug fährt – aber nicht in die richtige Richtung

Die Rabattoffensive wirkt wie ein Pflaster auf einen offenen Bruch. Wer langfristig mehr Menschen für den Fernverkehr gewinnen will, muss liefern: pünktlich, zuverlässig, transparent.

Andernfalls werden auch 20 % Rabatt auf einen Flexpreis niemanden mehr locken – schon gar nicht die, die ihre Reise ohnehin mit der Frage beginnen: „Kommt mein Zug heute überhaupt?“

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