Die Federal Reserve senkt die Zinsen – und demonstriert dabei ihre innere Zerreißprobe. Mit der dritten Zinssenkung in Folge auf eine Spanne von 3,5 bis 3,75 Prozent will die Notenbank der abkühlenden Konjunktur Luft verschaffen. Doch das Abstimmungsergebnis offenbart eine ungewöhnliche Spaltung. Drei der zwölf stimmberechtigten Mitglieder stellten sich gegen den Beschluss. So offen zerstritten war das Gremium zuletzt 2019.
Gegenstimmen kommen aus entgegengesetzten Richtungen
Bemerkenswert ist nicht nur die Zahl der Abweichler, sondern ihre Motive. Zwei Präsidenten regionaler Notenbanken wollten die Zinsen unverändert lassen. Gouverneur Stephen Miran ging in die entgegengesetzte Richtung und plädierte für eine deutlichere Senkung um 0,5 Prozentpunkte. Die Fronten verlaufen damit nicht entlang einer klaren Linie zwischen „Tauben“ und „Falken“, sondern kreuzen sich.
Noch deutlicher wird der Dissens im sogenannten Dot-Plot. Sechs Notenbanker erwarten für Ende 2025 einen Leitzins von 3,75 bis 4,0 Prozent – exakt dort, wo der Zins vor der aktuellen Senkung lag. Die formale Mehrheit für den Schritt verdeckt damit, dass ein erheblicher Teil des Gremiums ihn inhaltlich ablehnt.
Trump nutzt die Spaltung für neue Angriffe
Der politische Druck ließ nicht lange auf sich warten. Präsident Donald Trump kritisierte die Entscheidung öffentlich als unzureichend. Schon seit Monaten attackiert er Fed-Chef Jerome Powell und fordert eine deutlich lockerere Geldpolitik. Im Sommer sprach Trump davon, die Zinsen müssten auf ein Prozent sinken, um Wachstum und Investitionen zu befeuern.
Die erneute Zinssenkung nimmt Trump damit nicht den Wind aus den Segeln. Im Gegenteil: Die sichtbare Uneinigkeit im Offenmarktausschuss liefert ihm Argumente, die Fed als zögerlich und fehlgeleitet darzustellen. Die Unabhängigkeit der Notenbank gerät dadurch stärker unter Druck.

Eine Entscheidung unter unvollständigen Informationen
Die geldpolitische Lage wird zusätzlich durch eine dünne Datenbasis verkompliziert. Der wochenlange Regierungs-Shutdown entzog der Fed wichtige Inflations- und Arbeitsmarktdaten für Oktober. Auch die Novemberzahlen lagen zum Zeitpunkt der Sitzung noch nicht vollständig vor. Die Notenbank musste entscheiden, ohne den üblichen statistischen Unterbau.
Trotzdem legte sie neue Projektionen vor. Für 2026 rechnen die Währungshüter im Mittel nur noch mit einer weiteren Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte. Der Leitzins würde dann bei 3,25 bis 3,5 Prozent liegen. Doch auch hier ist die Spannbreite groß. Mindestens ein Mitglied hält langfristig sogar ein Zinsniveau von 2,25 Prozent für angemessen.
Wachstumsoptimismus trifft Inflationsrisiken
Parallel zur Zinssenkung hob die Fed ihre Wachstumsprognose für 2026 deutlich an – von 1,8 auf 2,3 Prozent. Die Inflation soll zugleich auf 2,4 Prozent sinken, nach zuvor erwarteten 2,6 Prozent. Diese Kombination wirkt auf viele Beobachter widersprüchlich.
Serge Nussbaumer von Maverix sieht darin ein Signal der Vorsicht. Die Fed wolle stützen, ohne die Fehler früherer Überreaktionen zu wiederholen. Für die Märkte bedeute das weniger geldpolitischen Rückenwind als erhofft. Johannes Mayr von Eyb & Wallwitz warnt hingegen vor dem Gegenteil: Zu schnelle und zu starke Lockerungen könnten die Nachfrage über ein durch Trumps Wirtschaftspolitik begrenztes Angebot hinaustreiben – mit neuen Inflationsrisiken.
Der Führungswechsel verschärft die Unsicherheit
Zusätzliche Brisanz erhält die Lage durch den bevorstehenden Abschied Powells. Seine Amtszeit als Fed-Vorsitzender endet im Mai 2026. Viele Marktteilnehmer rechnen damit, dass Trump einen Nachfolger nominieren wird, der seiner Linie nähersteht und Zinssenkungen offener gegenübertritt.
Jeff Schulze von Clearbridge Investments rät Anlegern deshalb, den aktuellen Dot-Plot weniger ernst zu nehmen als üblich. Die Prognosen eines scheidenden Vorsitzenden hätten geringere Aussagekraft, wenn ein Kurswechsel an der Spitze absehbar sei.

Kevin Hassett rückt als möglicher Nachfolger in den Fokus
Als Favorit gilt derzeit Kevin Hassett, Vorsitzender des Nationalen Wirtschaftsrats im Weißen Haus. Der Ökonom hat sich wiederholt für niedrigere Zinsen ausgesprochen und gilt als loyaler Trump-Vertrauter. An den Märkten wird er bereits als möglicher „Schattenvorsitzender“ gehandelt.
Um Fed-Chef zu werden, müsste Hassett zunächst in den Gouverneursrat einziehen. Möglich wäre ein Wechsel auf den Sitz von Stephen Miran, dessen Amtszeit im Januar endet. Alternativ könnte Powell mit dem Ende seiner Amtszeit als Vorsitzender auch den Gouverneursposten aufgeben.
Ein schwieriges Erbe für die nächste Führung
Die aktuelle Sitzung zeigt, wie brüchig der Konsens im Offenmarktausschuss geworden ist. Powell, seit Jahren respektiert und erfahren, konnte die Spaltung nicht verhindern. Ein neuer Vorsitzender dürfte es noch schwerer haben, das Gremium zusammenzuhalten.
Hinzu kommt das doppelte Mandat der Fed: Preisstabilität und Beschäftigung. Mit einer Inflation von zuletzt rund drei Prozent bleibt der Zielwert von zwei Prozent außer Reichweite. Gleichzeitig wächst der politische Druck, Wachstum um nahezu jeden Preis zu sichern.
Die Zinssenkung dieser Woche ist damit weniger ein Befreiungsschlag als ein Symptom. Sie zeigt eine Notenbank, die zwischen Datenlücken, internen Konflikten und politischer Einflussnahme navigieren muss – und deren Kurs für 2026 offener ist als lange zuvor.


