Premiere unter Polizeischutz
Ein katholischer Gottesdienst mit queerer Liturgie – live im ZDF. Was in anderen Ländern kaum Aufsehen erregen würde, gilt in Deutschland als kirchliches Experiment. Am Sonntag überträgt das ZDF erstmals einen „queeren katholischen Gottesdienst“ aus der Sankt-Anna-Kirche im Münsteraner Stadtteil Mecklenbeck. Der Anlass: ein Zeichen für Vielfalt und Anerkennung in einer Institution, die seit Jahrhunderten mit dem Thema Identität ringt.
Doch die Premiere findet nicht ohne Absicherung statt. Ein Polizeiwagen soll während der gesamten Messe vor der Kirche stehen. „Wir wissen, dass dieser Gottesdienst polarisiert“, sagt Jan Diekmann von der Queergemeinde Münster. Einlasskontrollen seien zwar nicht geplant, aber die Polizei sei in Bereitschaft – für den Fall, dass es zu Störungen kommt.
Eine kleine Gemeinde mit großer Symbolkraft
Die Queergemeinde Münster existiert seit 1999. Sie versteht sich als spiritueller Raum für Menschen, die ihren Glauben leben wollen, ohne ihre Identität verstecken zu müssen. Normalerweise feiern die Mitglieder ihre Messen in der Krypta der Antoniuskirche – verborgen vor der Öffentlichkeit, in einem intimen Rahmen. Für die Fernsehübertragung war das zu klein, daher zog man in die größere Sankt-Anna-Kirche um.
Der Gottesdienst steht unter dem Motto „Wer bin ich … für dich?“ – ein Satz von Papst Franziskus, der bewusst offen gehalten ist. Es soll kein theologisches Statement, sondern ein Moment der Selbstbefragung sein: Wer darf sich in der Kirche zu Hause fühlen?
Das ZDF zwischen Tradition und Zeitgeist
Für das ZDF ist der Gottesdienst ein Spagat. Einerseits folgt die Übertragung einer langen Tradition: Seit Jahrzehnten werden sonntags katholische und evangelische Messen ausgestrahlt. Andererseits steht das Format für einen vorsichtigen Schritt in Richtung gesellschaftlicher Realität.

„Wir wollen zeigen, dass Kirche bunt sein kann“, heißt es in einer internen Stellungnahme. Der Gottesdienst werde in „sensibler, inklusiver Sprache“ gestaltet. Gleichgeschlechtliche Segnungen sind zwar nicht Teil der Messe – die Gemeinde befürwortet sie aber ausdrücklich. Für viele queere Katholiken ist das ein Signal, das Hoffnung macht, auch wenn die kirchliche Lehre weiterhin klare Grenzen zieht.
Zwischen Erneuerung und Entfremdung
Der queere Gottesdienst fällt in eine Zeit, in der die katholische Kirche in Deutschland mit einem massiven Vertrauensverlust kämpft. Austritte auf Rekordniveau, Missbrauchsskandale, Reformstau. Zugleich wächst der Druck von unten: Gemeinden, Ordensleute und Theologen fordern mehr Gleichberechtigung, Segnungen für alle Paare, und eine Sprache, die niemanden ausschließt.
„Viele Gläubige fühlen sich zerrissen zwischen ihrem Glauben und der offiziellen Haltung ihrer Kirche“, sagt eine Theologin aus Münster, die namentlich nicht genannt werden will. „Ein solcher Gottesdienst ist mehr als Symbolik – er ist ein Versuch, die Kirche wieder näher an die Realität der Menschen zu bringen.“
Ein Experiment mit Sprengkraft
Dass ausgerechnet der erste queere Gottesdienst im deutschen Fernsehen Polizeischutz braucht, ist eine bittere Ironie. Er zeigt, wie angespannt die Stimmung in Teilen der Gesellschaft bleibt – und wie tief die Gräben in der katholischen Welt noch sind.
Gleichzeitig ist die Übertragung auch ein mutiger Schritt. Die Kirche wagt Sichtbarkeit, das ZDF zeigt Haltung, und die Gemeinde übernimmt Verantwortung.
Ob dieser Gottesdienst ein einmaliges Experiment bleibt oder den Beginn einer neuen Offenheit markiert, wird sich zeigen. Fest steht: Am Sonntagmorgen blickt Deutschland auf eine Messe, die mehr ist als ein religiöses Ritual – sie ist ein Spiegel einer Kirche, die um ihre Zukunft ringt.


