Sperrung ohne Erklärung
Es geschieht über Nacht: Der YouTube-Kanal des Islamkritikers Irfan Peci, zuletzt mit mehr als 21.000 Abonnenten, wird von der Plattform gelöscht. Keine Vorwarnung, keine genaue Begründung – nur der Hinweis, der Kanal habe „gegen Richtlinien verstoßen“. Welche, bleibt unklar.
Peci, der seit Jahren mit Straßeninterviews und Diskussionen über den Islam Aufmerksamkeit erzielt, vermutet einen konkreten Auslöser: ein noch unveröffentlichtes Video über Verschleierung und Kinderehen im Islam, versehen mit englischen Untertiteln. „Das Thema ist gesellschaftlich wichtig, sachlich aufgearbeitet – und offenbar trotzdem unerwünscht“, kommentierte er auf X (ehemals Twitter).

Zwischen Aktivismus und Algorithmus
Die Sperrung trifft einen Mann, der selbst ein Kapitel deutscher Islamismus-Geschichte verkörpert. Irfan Peci, in Bosnien geboren, kam als Kind nach Deutschland und war in jungen Jahren Teil einer al-Qaida-nahen Propagandagruppe. Nach seiner Festnahme kooperierte er mit den Behörden, stieg aus der Szene aus – und wurde zum Kritiker des politischen Islam.
Heute versteht er sich als Aufklärer. Auf seinem noch aktiven Zweitkanal mit rund 71.000 Abonnenten spricht Peci über Radikalisierung, Integration und Religionskritik. Seine Videos sind teils provokant, aber selten hetzerisch. Dass nun ausgerechnet der kommerzielle Kanal gesperrt wurde, nährt den Verdacht, YouTube habe wirtschaftlichen oder politischen Druck gespürt – nicht zwingend eine Regelverletzung festgestellt.
Zwischen Zensurvorwurf und Plattformpolitik
Der Fall reiht sich ein in eine wachsende Zahl von Sperrungen, bei denen YouTube auf „Verstöße gegen Gemeinschaftsrichtlinien“ verweist, ohne Details offenzulegen. Für Kritiker ist das ein strukturelles Problem: Entscheidungen mit großer öffentlicher Wirkung werden von anonymen Moderationsteams oder Algorithmen getroffen – oft ohne nachvollziehbares Verfahren.
„Plattformen wie YouTube agieren faktisch als private Regulierungsinstanzen für Meinungsfreiheit“, sagt ein Medienrechtler gegenüber der InvestmentWeek.
„Wenn politische oder religiöse Themen betroffen sind, wird die Grenze zwischen Moderation und Zensur schnell unscharf.“
YouTube selbst äußerte sich bisher nicht zu Pecis Fall. Der Konzern betont grundsätzlich, man schütze Nutzer vor „Hassrede“ und „gefährlichen Inhalten“, prüfe aber jedes Löschverfahren sorgfältig. Wie diese Prüfungen genau aussehen, bleibt Geschäftsgeheimnis.
Politische Brisanz
Brisant ist die Sperrung auch deshalb, weil Peci mit seinen Inhalten in Deutschland eine Grauzone bedient: Religionskritik, Islamdebatte, Migrationspolitik – Themen, die emotional aufgeladen sind und schnell politische Lager spalten. Während seine Unterstützer von „digitaler Zensur“ sprechen, werfen Kritiker ihm populistische Zuspitzung vor.
Gleichzeitig trifft der Fall auf ein Umfeld wachsender politischer Sensibilität: Seit Jahren wird über den Einfluss großer US-Plattformen auf die öffentliche Meinungsbildung diskutiert. Die EU reagierte mit dem Digital Services Act (DSA), der mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht für Moderationsentscheidungen verlangt. Doch noch hinkt die Praxis den gesetzlichen Zielen hinterher.
Pecis Reaktion: Widerspruch und Anwalt
Peci hat bereits Widerspruch gegen die Sperre eingelegt und kündigt juristische Schritte an, sollte YouTube nicht reagieren. „Ich lasse mir den Mund nicht verbieten“, erklärte er gegenüber Medien. Der Fall könnte – ähnlich wie frühere Streitigkeiten um politische YouTuber – juristische Signalwirkung entfalten: Wie weit reicht das Hausrecht eines Konzerns, wenn dieser faktisch Teil der öffentlichen Debatte geworden ist?
Meinungsfreiheit im Zeitalter der Plattformen
Der Streit um Peci ist mehr als ein Einzelfall. Er steht für die Grundsatzfrage, wer im digitalen Raum über die Grenzen des Sagbaren entscheidet – Konzerne, Gerichte oder Gesellschaften selbst. Zwischen algorithmischer Vorsicht und menschlicher Willkür bleibt das Spannungsfeld bestehen.
YouTube mag rechtlich auf sicherem Boden stehen. Doch mit jeder Sperrung ohne Begründung verliert das Unternehmen Vertrauen – und befeuert die Kritik, die es eigentlich eindämmen will.

