95 Prozent Plus – mitten in der Pleite
Es war ein Kursfeuerwerk, das viele nicht kommen sahen: Um fast 96 Prozent schoss die Aktie von Wolfspeed an der NASDAQ nach oben.
Und das, nur wenige Tage nachdem das Unternehmen offiziell Insolvenz nach Chapter 11 beantragt hatte. Für Außenstehende wirkt das wie ein Widerspruch – für erfahrene Marktbeobachter wie ein Hoffnungsschimmer mit Haken.
Denn der eigentliche Kurstreiber war nicht etwa eine neue Technologie oder ein starker Auftrag, sondern eine Personalie: Wolfspeed hat mit Gregor van Issum einen erfahrenen Restrukturierer als neuen Finanzchef präsentiert. Die Märkte werten das als Signal für Struktur, Kontrolle – und vielleicht sogar eine zweite Chance.
Sanierer mit Erfahrung – aber kein Zauberstab
Van Issum kennt sich mit angeschlagenen Tech-Konzernen aus. In leitenden Funktionen bei NXP und ams-OSRAM hat er bereits gezeigt, dass er in Krisenzeiten kühlen Kopf bewahren kann.
Besonders wichtig: Er war mit komplexen Fertigungsprozessen vertraut – ein entscheidender Punkt, denn Wolfspeed gilt als einer der technologischen Vorreiter bei Siliziumkarbid-Chips, kämpft aber seit Jahren mit zu hohen Kosten und fehlender Skalierung.
Dass CEO Robert Feurle seine eigene Zusammenarbeit mit van Issum ausdrücklich hervorhebt, deutet darauf hin, dass diese Personalentscheidung nicht zufällig kam – sondern ein gezielter Rettungsversuch ist.
Chapter 11: Notbremse oder Neuanfang?
Mit dem Schritt in die strategische Insolvenz nach Kapitel 11 will sich Wolfspeed finanziell neu aufstellen. Anders als bei klassischen Insolvenzen behalten US-Firmen in Chapter 11 die Kontrolle – der Sanierungsprozess findet unter gerichtlicher Aufsicht, aber in Eigenverantwortung statt. Das Ziel: Gläubigerforderungen ordnen, Altlasten loswerden, Kapitalstruktur optimieren.
Das klingt nüchtern – ist aber ein Kraftakt. Lieferketten müssen weiterlaufen, Kunden bei der Stange bleiben, neue Investoren Vertrauen fassen. Und das alles in einem Marktumfeld, das sich rasant verändert.
Ein Sanierungsplan ohne Fundamentaldaten
Dass die Aktie kurzfristig explodiert, ist für Aktionäre erfreulich – aber riskant. Denn operativ ist Wolfspeed weiter tief in den roten Zahlen. Der Umsatz ist niedrig, die Margen negativ, der Markt hart umkämpft.
Analysten zeigen sich entsprechend skeptisch: Vier von sechs Research-Häusern raten zum Verkauf, das durchschnittliche Kursziel liegt bei 3,37 Dollar – trotz des jüngsten Anstiegs.
Wer jetzt einsteigt, investiert nicht in ein solides Geschäftsmodell, sondern in die Hoffnung auf ein erfolgreiches Turnaround-Management. Es ist der Inbegriff eines Hochrisiko-Investments.
Technologisch vorn, finanziell am Limit
Dabei ist Wolfspeed technologisch nicht irrelevant. Die Firma gehört zu den Pionieren im Bereich Siliziumkarbid – einer Halbleitertechnologie, die vor allem in E-Autos, Wechselrichtern und Industrieanlagen für höhere Effizienz sorgt. Tesla, General Motors und andere setzen bereits auf Chips dieser Art.
Das Problem: Die Herstellung ist aufwendig und teuer. Wolfspeed hat viel Geld in eine neue 200-mm-Fertigungsplattform investiert – doch der Ertrag blieb bisher hinter den Erwartungen. Was fehlt, ist nicht die Idee, sondern die operative Umsetzung. Genau hier soll van Issum nun ansetzen.
Transparenz, Kapitalstruktur, Kontrolle
In seiner Antrittserklärung kündigte der neue CFO an, vor allem eines liefern zu wollen: Klarheit. Er wolle die Kapitalstruktur neu ordnen, Liquidität sichern und Investoren wieder Vertrauen vermitteln. Klingt gut – aber auf einem Markt, der innerhalb von Stunden Milliarden vernichtet oder schafft, braucht es mehr als gute Absichten.
Ob die Strategie aufgeht, wird sich wohl erst Ende des dritten Quartals zeigen. Dann soll der Chapter-11-Prozess abgeschlossen sein. Bis dahin bleibt Wolfspeed ein Unternehmen im Umbau – mit offenem Ausgang.
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