08. Mai, 2025

Wirtschaft

Wie Russlands Kriegswirtschaft neue Milliardäre hervorbringt

Vom Austauschstudenten zum Pharma-Milliardär: Der Aufstieg von Vikram Punia steht exemplarisch für eine neue Welle russischer Vermögensbildung – beschleunigt durch Sanktionen, Kriegswirtschaft und westlichen Rückzug.

Wie Russlands Kriegswirtschaft neue Milliardäre hervorbringt
Unternehmen wie „Gross“ verzehnfachten ihren Umsatz durch Importe aus China. Der Exodus westlicher Firmen und neue Handelsrouten gen Osten schaffen Raum – aber auch neue Abhängigkeiten.

Russlands Forbes-Liste wächst – und das inmitten einer vom Krieg gezeichneten Wirtschaft. Während die Alt-Oligarchen weiterhin die Spitze dominieren, rücken überraschend viele neue Namen nach.

Einer davon: Vikram Punia. Der gebürtige Inder kam 1992 als Austauschstudent nach Sibirien, brach sein Studium ab – und wurde mit patentfreien Medikamenten reich. Heute zählt er mit einem geschätzten Vermögen von 2,1 Milliarden US-Dollar zu den reichsten Pharmaunternehmern des Landes.

Doch Punia ist kein Einzelfall. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat sich nicht nur die politische Weltordnung verschoben – auch die wirtschaftliche Elite Russlands durchläuft eine stille, aber tiefgreifende Transformation.

Oligarchen an der Spitze, Emporkömmlinge im Windschatten

Die Spitze der Liste bleibt unverändert: Öl, Gas, Metall – die klassischen Rohstoffimperien sichern weiterhin das Vermögen der etablierten Kreml-nahen Familien.

Doch auf den Rängen darunter hat sich Bewegung eingeschlichen. Gleich 15 Neuzugänge verzeichnete Forbes in diesem Jahr – ein Wert, der zuletzt 2011 erreicht wurde.

Der Grund: Die erzwungene Autarkie Russlands. Der Rückzug westlicher Firmen öffnete Raum – und Geschäftschancen. Unternehmer wie Iwan Tawrin griffen zu, kauften Avito (ehemals im Besitz von Naspers) und Teile von Henkel zum Schnäppchenpreis.

Pharmasyntez-Gründer Vikram Punia zählt mit einem Vermögen von 2,1 Mrd. $ zu den reichsten Newcomern. Sein Aufstieg profitiert von Russlands Importsubstitution – und einem auf Staatsaufträge fokussierten Geschäftsmodell.

Ganze Wertschöpfungsketten mussten unter Sanktionen neu gedacht werden – und das mit beachtlicher Geschwindigkeit.

Wachstum auf Trümmern

Die wirtschaftliche Dynamik ist bemerkenswert. Der Handel mit China floriert. Unternehmen wie „Gross“ verzehnfachten binnen drei Jahren ihren Umsatz, während sich Logistiker wie „Ultramar“ ebenfalls vervielfachten.

Auf der Krim verzeichnete das Straßenbauunternehmen „Alt-Era“ ein Umsatzplus von über 400 Prozent – ein Wachstumswert, wie man ihn selbst in Start-up-Märkten selten sieht.

Hinzu kommt: Russische Unternehmer haben offenbar ein über Jahre gewachsenes Talent zur Improvisation. „Sie haben eine beeindruckende Fähigkeit entwickelt, sich in Krisen blitzschnell neu zu orientieren“, attestiert Ökonomin Natalja Subarewitsch von der Moskauer MGU.

Die Kehrseite des Erfolgs

Doch der Aufstieg ist nicht nur Glanz, sondern auch Ausdruck einer düsteren Entwicklung. Der Krieg hat die russische Wirtschaft nicht nur zur Neuausrichtung gezwungen, sondern sie auch strukturell verändert.

Laut dem renommierten Bofit-Institut der finnischen Nationalbank ist Russland heute eine isoliertere, planhaftere und in Teilen verstaatlichte Wirtschaft.

Investitionen in zivilen Sektoren stagnieren, der Technologietransfer ist nahezu zum Erliegen gekommen, ausländische Finanzierung fehlt. Die hohen Leitzinsen – zuletzt bei 21 Prozent – drosseln neue Investitionen. Selbst die hohe Staatsausgabendisziplin der Vergangenheit ist Geschichte. Reserven werden angezapft, Steuern steigen, und die Inflation ist zurück.

Zwar sind die Einkommen zuletzt gestiegen, doch auf einem bescheidenen Niveau. Gleichzeitig bleibt Russland wirtschaftlich hochgradig von China abhängig – nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Importpartner.

Von Pragmatismus und Grenzen

Inmitten dieser Gemengelage agieren die neuen Reichen mit bemerkenswerter Agilität. Sie nutzen Schlupflöcher, erschließen brachliegende Märkte und ersetzen westliche Marktteilnehmer mit lokaler Produktion. Doch wie nachhaltig ist dieses Wachstum?

Das Bofit-Institut warnt: Die Anpassungsfähigkeit hat ihre Grenzen. Die strukturelle Isolierung, die einseitige Fixierung auf kriegsnahe Industrien und die wachsende Abhängigkeit vom Staatsapparat dürften auf lange Sicht das Potenzial der russischen Wirtschaft begrenzen. Schon jetzt fällt das BIP-Wachstum auf 1,7 Prozent zurück – trotz massiver Staatsausgaben.

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