17. August, 2025

Finanzen

Wie „Professor Finanzen“ sein Millionenpublikum in ein Geschäftsmodell überführt

Der Fall „Professor Finanzen“ zeigt, wie sich Aufklärung und Angebot vermischen: Mentoring, KI-Workshops, Newsletter – und wiederkehrende Fragen zu Transparenz und Kennzeichnung. Der Influencer erreicht Millionen, verkauft Exklusivität und verspricht Rendite-Know-how.

Wie „Professor Finanzen“ sein Millionenpublikum in ein Geschäftsmodell überführt
Schnelles Geld statt solider Rat: Professor Finanzen gerät wegen riskanter Empfehlungen in die Kritik.

Bühne frei: Reichweite, Marke, Versprechen

Er tritt im Basken-Cap auf, spricht in kurzen Sätzen und liefert einfache Regeln: Ibo Ahmiane, online als „Professor Finanzen“ unterwegs, hat sich zum Gesicht der Finanzaufklärung auf Instagram und TikTok gemacht. Mehr als 600.000 Follower auf Instagram, rund 1,6 Millionen auf TikTok – sein Claim: „Ich bring dir bei, was dir die Schule nie beigebracht hat.“ Themen: von Altersvorsorge über Steuern bis Immobilien. Der Ton: niederschwellig, tagesnah, viral tauglich.

Doch zwischen Tipps und Tutorials tauchen regelmäßig Verkaufstrichter auf: Mentoring, Workshops, Newsletter. Für ein junges Publikum, das laut BaFin-Studie Finanzinhalte in sozialen Medien zunehmend für verlässlich hält, ist diese Mischung besonders wirksam – und riskant, wenn Interessen nicht sauber offengelegt werden.

@professorfinanzen

Geld ausgeben und gleichzeitig sparen dank @Trade Republic #geld #finanzen

♬ Originalton - Professorfinanzen

Bewerbung, Verknappung, „nur noch wenige Plätze“

Herzstück ist das „ProFinanz Mentoring“. Der Weg dorthin wirkt vertraut: Kommentarspalten voller „Info“, ein Bewerbungsbutton, Countdown und Knappheitssignale („nur noch wenige Plätze verfügbar“). Marketingprofessor Florian Stahl (Uni Mannheim) ordnet solche Mechaniken so ein: künstliche Dringlichkeit erhöht die Abschlusswahrscheinlichkeit – ein Standardkniff im Coaching-Vertrieb.

Auffällig: Kein Preis auf der Website. Interessenten landen zuerst im telefonischen Erstgespräch. Begründung des Anbieters: Der Leistungsumfang variiere, ein Pauschalpreis sei nicht sinnvoll; nach dem Gespräch gebe es ein „transparentes, unverbindliches Angebot“. Für Einordnung sorgt der Blick in die Historie: Die eingestellte „ProFinanz Akademie“ (ähnlicher Aufbau) kostete rund 600 Euro, in Raten knapp 700 Euro – beworben als reduziert von rund 1.000 Euro. Ob diese „Listenpreise“ jemals real gezahlt wurden, bleibt offen.

Expertise: große Worte, kleine Belege

Zum Leistungsversprechen gehört ein „Aktieninsights“-Newsletter – wöchentliche Aktientipps, geliefert nicht vom „Professor“, sondern von „Benjamin“ und „Philipp“. Laut Website „professionelle Analysten mit langjähriger Erfahrung“ – ohne Nachnamen, ohne Qualifikationsnachweise.

Auch zu Ahmianes eigener Vita finden sich keine belastbaren Nachweise auf den Produktseiten. Auf Nachfrage verweist er auf Stationen im Bankrisikomanagement, Weiterbildungen und Zertifikate sowie Investmentpraxis seit 2015. Verifizierbar ist das für Interessenten nicht. Wer Zugang kauft, muss Vertrauen vorschießen.

Werbung oder Wissen? Kennzeichnung als Sollbruchstelle

Die Grenze zwischen Content und Kommerz ist dort am heikelsten, wo Produktempfehlungen auftreten. Auf dem Kanal finden sich Postings und Videos zu konkreten Finanzprodukten – etwa zum Kinderdepot von Trade Republic oder zum Geschäftskonto von Vivid.

Kritikpunkt: Kennzeichnung. In Fällen, in denen „Anzeige“ erscheint, ist der Hinweis teils winzig oder schlecht lesbar; in anderen Beiträgen fehlt er. Screenshots dokumentieren fehlende oder nachträglich ergänzte Hinweise; in Beschreibungen fehlt Transparenz zu bezahlten Partnerschaften oder Affiliate-Links.

@professorfinanzen

Welche Bücher findest du sehr interessant ? #finanzen #geld

♬ Originalton - Professorfinanzen

Die Rechtslage ist klar: Werbung muss als solche erkennbar sein – unabhängig davon, ob Geld fließt oder ein Affiliate-Modell greift. Ralf Scherfling von der Verbraucherzentrale NRW betont: Transparenz ist zwingend, Interessenkonflikte sind offenzulegen. Ahmiane weist die Vorwürfe zurück: Kooperationen würden durchgängig gekennzeichnet, Darstellungsprobleme lägen an den Plattformen.

„KI-Perlen“, Gratis-Report – und am Ende wieder das Mentoring

Neu im Portfolio: Workshops zu „KI-Perlen“, also Aktien, die vom KI-Boom profitieren sollen – unter dem Radar der meisten Anleger. Wer „Jetzt“ kommentiert, bekommt einen kostenlosen KI-Report. Darin: Trendnarrativ, Beispiellisten (u. a. Microsoft, ASML) – und am Schluss der erneute Verweis aufs Mentoring. Das Prinzip bleibt gleich: kostenloser Content als Vorspeise, Upsell als Hauptgang.

Warum das relevant ist: die neue Gatekeeper-Macht

Mehr als die Hälfte der 18- bis 45-Jährigen in Deutschland orientiert sich bei Geldfragen an Finfluencern – ein dramatischer Shift der Gatekeeper. Damit wächst die Verantwortung: Wer finanzielle Bildung verspricht, übernimmt Treuhand über Erwartungen und Geld. Wo Bezahlinhalte, Affiliate-Links und Produktwerbung einfließen, ist Trennschärfe keine Kür, sondern Pflicht.

Für die Branche insgesamt gilt: Je stärker die Kommerzialisierung, desto wichtiger prüfbare Expertise, klare Haftungsausschlüsse, faire Preismodelle – und vor allem sichtbare Kennzeichnung in Bild, Ton und Text. Ein unlängst beachtetes Gerichtsverfahren gegen überzogene Coaching-Versprechen zeigt, dass die Geduld der Justiz mit Trickkatalogen abnimmt.

Woran sich Seriosität messen lassen muss

  • Transparenz: Preis und Leistungsumfang öffentlich nennen – vor dem Erstgespräch.
  • Qualifikation: Namen, Abschlüsse, Berufserfahrung der „Analysten“ vollständig offenlegen.
  • Kennzeichnung: Werbung und Affiliate-Verlinkungen klar und unübersehbar ausweisen – auf jedem Gerät.
  • Interessenkonflikte: Offenlegen, wann und wie Anbieter mitverdienen, wenn Nutzer Empfehlungen folgen.
  • Belegbarkeit: Performance-Claims nur mit prüfbaren Daten, Methodik und Zeiträumen.

Unsere Einordnung

„Professor Finanzen“ ist symptomatisch für eine Branche, die Aufklärung verspricht und Angebote verkauft – oft auf ein und derselben Fläche. Der Funnel ist professionell, die Sprache passgenau, die Mechaniken bekannt. Was fehlt, sind konsequent offengelegte Preise, vollständige Qualifikationsprofile und eine Kennzeichnung, die jeder auf den ersten Blick erkennt.

Finanzbildung ist kein Bühnenbild für Upsells. Wer Millionen erreicht, trägt Verantwortung – nicht nur für den Ton, sondern für Transparenz in jedem Pixel. Wer das nicht liefert, hat kein Kommunikationsproblem. Er hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Das könnte Sie auch interessieren:

Finanzamt Kassel testet radikalen Steuer-Service
In Hessen läuft ein Pilotprojekt, das die Steuererklärung auf den Kopf stellen könnte. Statt Mahnschreiben verschickt das Finanzamt Kassel fertige Steuerbescheide – und zwar ohne, dass die Betroffenen je ein Formular in ELSTER geöffnet haben.