Vom Bauernhof zur Premium-Marke
Die meisten sehen in einer Dose geschälte Tomaten ein Grundnahrungsmittel. Francesco Mutti sieht darin eine Marke. Eine teure, wohlgemerkt.
Während die Ernährungsindustrie über rückläufige Nachfrage und Preisdruck klagt, steigert Mutti seinen Umsatz – mit einem Produkt, das längst zum Tauschgut an der Supermarktkasse geworden ist. 1,80 Euro für eine Dose Tomaten? Deutsche Kunden greifen trotzdem zu.
Der Grund: Vertrauen in Qualität, eine perfekt gepflegte Erzählung – und ein Familienunternehmer, der den Markt nicht nach Rabatten, sondern nach Prinzipien sortiert.
„Ich bezahle zehn Prozent mehr“
90 Prozent der Tomaten kommen aus Norditalien, der Rest aus dem Süden – wo Handernte noch üblich ist. Mutti wirbt offensiv damit, seine Bauern besser zu bezahlen als die Konkurrenz.
Ob das allein die Preisdifferenz rechtfertigt, sei dahingestellt. Entscheidend ist: Der Konsument glaubt es.
Und das genügt. Während viele Marken in der Mitte des Marktes zerrieben werden – zu teuer für den Discount, zu beliebig für das Premium-Regal – schafft es Mutti, sich genau dort zu behaupten, wo Markensterben grassiert: im mittleren Preissegment.
Wachstum gegen den Trend
In Deutschland stieg der Umsatz im vergangenen Jahr um 33 Prozent, europaweit lag das Wachstum bei zehn Prozent – während der Gesamtmarkt für Tomatenprodukte gerade mal um zwei Prozent zulegte. Inzwischen ist Deutschland der wichtigste Auslandsmarkt für Mutti.
Der Marktanteil beträgt zwölf Prozent, die Markenbekanntheit liegt laut Nielsen bei 79 Prozent. Zum Vergleich: Die Konkurrenz heißt entweder Hengstenberg (Oro di Parma) oder Handelsmarke.

Und auch in Zeiten von Food-Startups und Clean-Eating-Apps sind Tomaten das meistverkaufte Gemüse im Land. Der Rückgang bei Dosen- und Konservenware betrifft viele – Mutti nicht.
China? „Keine Angabe.“
Francesco Mutti spricht nicht gerne über Konkurrenten – es sei denn, sie heißen China. Dann wird der Unternehmer aus der Emilia-Romagna deutlich. Die Produktion dort sei nicht nur industriell, sondern „unter problematischen Bedingungen“ organisiert.
Besonders kritisch sei die Situation in der Provinz Xinjiang, wo laut Berichten uigurische Arbeitskräfte systematisch ausgebeutet werden.
Das Problem: Viele Dosen mit chinesischer Tomate landen über Umwege in europäischen Supermärkten – teils mit italienischer Flagge, aber ohne Herkunftsangabe. Mutti fordert, dass die EU endlich durchgreift:
„Die Ausnahmeregelungen beim Zoll auf chinesische Tomaten gehören abgeschafft.“
Der geltende 36-Prozent-Zoll greift oft nicht, weil Ware angeblich nur zur Weiterverarbeitung eingeführt wird – und dann in europäischen Regalen landet.
Klima und Kapital
Neben Politik und Herkunft beschäftigt Mutti ein drittes Thema: das Klima. Der Sommer 2025 war gnädig, die Ernte gut. Aber langfristig droht Hitze – und Wasserknappheit. Deshalb investiert das Unternehmen 30 Millionen Euro, unter anderem in Regenwasserspeicher und Solaranlagen.
Für ein Familienunternehmen mit 500 Festangestellten und rund 1.500 Saisonkräften ist das ein großer Schritt. Doch Mutti, der das Unternehmen seit 1994 führt und mit Verlinvest nur einen externen Investor (25 %) an Bord hat, plant langfristig. Ein Verkauf? Kein Thema. „Ich bin nicht der reichste Mann der Welt, aber zufrieden.“
Die nächste Generation steht bereit: Seine 29-jährige Tochter sammelt derzeit Erfahrung außerhalb des Betriebs. Ob sie übernimmt? Wahrscheinlich. Wenn sie bereit ist.
Tomate mit Haltung
Am Ende ist es vielleicht genau das, was Mutti ausmacht: Haltung. In einem Markt, in dem Herkunft verwischt, Marken austauschbar wirken und Preis oft über allem steht, setzt das Unternehmen auf ein klares Profil. Herkunft, Qualität, Verantwortung – nicht nur als Etikett, sondern als Strategie.
Ob das auch in zehn Jahren noch funktioniert, wenn Foodtechs, Vertical Farms und KI-gestützte Geschmackslabore den Markt umkrempeln? Vielleicht nicht. Aber bis dahin bleibt Mutti der Beweis, dass selbst eine Tomate zur Marke werden kann – wenn man es ernst meint.
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