05. Juni, 2025

Politik

Wie lange kann die EZB auf Entspannung setzen?

Die Inflation in Deutschland fällt auf 2,1 % – nur noch ein Hauch über dem offiziellen Ziel. Auch Frankreich, Italien und Spanien melden niedrigere Raten. Der Markt rechnet fest mit einer weiteren Zinssenkung der EZB. Doch was kommt danach?

Wie lange kann die EZB auf Entspannung setzen?
Die Inflationsraten in der Währungsunion entwickeln sich zunehmend asynchron. Eine gemeinsame Geldpolitik wird so zur Gratwanderung.

2,1 Prozent. Auf diese nüchterne Zahl schrumpft derzeit die größte Sorge der vergangenen Jahre. Die Teuerung in Deutschland liegt im Mai nur noch minimal über dem offiziellen Zielwert der Europäischen Zentralbank – und auch europaweit entspannt sich die Lage.

Frankreich meldet gar 0,7 Prozent. Das klingt nach Entwarnung. Doch ist es wirklich eine?

Die EZB jedenfalls scheint entschlossen. Nächste Woche dürfte der Leitzins erneut um 25 Basispunkte gesenkt werden – der achte Schritt in weniger als einem Jahr. Die Märkte sind bereits vorbereitet.

Die Ökonomen ebenso. Doch in der Stille vor der erwartbaren Entscheidung drängt sich eine Frage auf, die über Juni hinausweist: War es das mit der Inflation – oder nur eine Atempause?

Der Preisrückgang kommt nicht überallher gleich

Die Gründe für den aktuellen Preisrückgang sind vielschichtig. Günstigere Energie spielt eine zentrale Rolle: Öl und Gas kosten heute deutlich weniger als vor einem Jahr. Laut Statistischem Bundesamt lagen die Energiepreise im Mai 4,6 Prozent unter dem Vorjahreswert.

Auch der Euro, der sich seit Jahresbeginn gegenüber dem Dollar erholt hat, dämpft den Preisauftrieb durch billigere Importe.

Doch nicht alle Faktoren sind strukturell. Der von Donald Trump angefachte Handelskonflikt zwischen den USA und der EU wirkt aktuell preisdämpfend – nicht, weil die Welt sicherer oder stabiler geworden wäre, sondern weil europäische Unternehmen ihre Lieferketten neu strukturieren und auf Investitionen verzichten. Weniger Nachfrage führt zu weniger Preisdruck. Aber auch zu weniger Wachstum.

Ein Zinsschritt, der keine Überraschung mehr ist

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat sich noch nicht offiziell zum bevorstehenden Zinsentscheid geäußert. Aber es wäre eine Überraschung, wenn der Rat in Frankfurt kommende Woche nicht liefert.

Die Kommunikation der Notenbank ist seit Wochen eindeutig: Der Einlagensatz dürfte von derzeit 2,25 auf 2,0 Prozent sinken. Analysten und Investoren sind sich einig – und dementsprechend gelassen. Erst wenn der erwartete Schritt ausbleibt, dürfte es an den Märkten ungemütlich werden.

Einzige Ausnahme: Österreichs scheidender Notenbankchef Robert Holzmann. Er hält eine weitere Lockerung für verfrüht – zumindest solange seine Unterschrift noch unter den Beschlüssen steht. Mit seinem Ausscheiden im August dürfte sich aber auch dieser Widerstand verflüchtigen.

Europa uneinheitlich – und das könnte zum Problem werden

Die Inflationsraten im Euroraum driften weiter auseinander. Während Deutschland bei 2,1 Prozent stagniert, liegen Frankreich (0,7 %), Italien (1,7 %) und Spanien (1,9 %) zum Teil deutlich unter dem Zielwert.

Das erschwert eine einheitliche Geldpolitik. Die EZB steht vor dem altbekannten Dilemma: Ein Zinsniveau, das für den Süden angemessen erscheint, könnte für den Norden zu locker sein.

Doch auch innerhalb Deutschlands sind die Signale nicht einheitlich. Die Kerninflation – also ohne Energie und Lebensmittel – liegt mit 2,8 Prozent weiterhin spürbar über dem Ziel. Das deutet darauf hin, dass die Preisentwicklung im Dienstleistungsbereich, etwa bei Löhnen oder Mieten, noch nicht vollständig unter Kontrolle ist.

Was passiert nach der Sommerpause?

Die nächste Zinssenkung ist programmiert – die übernächste noch nicht. Für den Juli-Zinsentscheid mehren sich die Stimmen, die für eine Pause plädieren.

Neben Holzmann äußerten sich auch Belgiens Notenbankchef Pierre Wunsch und Griechenlands Zentralbankchef Yannis Stournaras entsprechend. Und EZB-Direktorin Isabel Schnabel bleibt vage: Sie wolle die Zinsen „in der Nähe ihres derzeitigen Niveaus“ halten, vermeidet aber konkrete Aussagen.

Vieles wird vom Konjunkturverlauf abhängen. Eine erneute Eskalation im Zollstreit, ein schwächerer Euro oder ein Anziehen der Rohstoffpreise könnten die Inflation schneller wieder anheizen als gewünscht. Und dann stünde die EZB vor dem nächsten Spagat: Wachstum stützen oder Preisstabilität sichern?

Die Börsen feiern vorsichtig – doch der Rückenwind ist nicht garantiert

Der DAX gab nach den aktuellen Zahlen leicht nach, verteidigte aber die Marke von 24.000 Punkten. Analysten hatten auf glatte zwei Prozent gehofft – eine symbolische Marke. Sie blieb aus. Doch die Reaktion fiel moderat aus. Das zeigt: Zinssenkungen allein sorgen inzwischen nicht mehr für Euphorie.

Vielmehr rückt die Frage in den Vordergrund, wie dauerhaft das aktuelle Inflationsbild wirklich ist – und ob die Geldpolitik überhaupt das richtige Instrument ist, um strukturelle Herausforderungen wie demografischen Wandel, geopolitische Unsicherheit oder steigende Staatsausgaben in Schach zu halten.

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