Sebastian Siemiatkowski hält nichts von leisen Auftritten. Als der 44-jährige Gründer von Klarna im September an der New York Stock Exchange die Glocke läutete, streamte er den Moment direkt über eine Meta-Brille ins Netz. Ein Börsengang als Live-Performance – Sinnbild für einen Unternehmer, der stets ein paar Schritte schneller wirken will als die Konkurrenz.
Doch kaum war das Spektakel vorbei, begann der Teil, den keine Kamera glamourös einfängt: die Mühe, den eigenen Anspruch als „globale Neobank“ tatsächlich einzulösen. Seit dem IPO hat die Aktie rund 17 Prozent verloren. Jetzt zählt nicht mehr der Auftritt, sondern das Ergebnis.

Der eigentliche Gegner trägt ein britisches Logo
Klarna will mehr sein als ein Zahlungsdienstleister, der Online-Käufe abwickelt. Siemiatkowski und sein Team kündigen nichts Geringeres an als den Sprung zum vollwertigen Bankanbieter – mit Girokonto, Sparfunktionen, Investitionsfeatures und möglicherweise sogar Kryptohandel.
Das Ziel: Die Einnahmen sollen künftig stärker vom Endverbraucher kommen. Noch immer stammen gut drei Viertel des Umsatzes aus dem Händlergeschäft. „Diese Abhängigkeit ist zu groß“, heißt es hinter den Kulissen.
Dass diese Neuausrichtung nicht im luftleeren Raum geschieht, zeigt ein Name: Revolut. Die britische Super-App ist im Banking-Segment das Maß aller Dinge, mit über 40 Millionen Kunden, internationalen Lizenzen und einer Produktpalette, die vom Fremdwährungskonto bis zum Aktienhandel reicht. Genau hier will Klarna attackieren – spät, aber mit Wucht.
„Revolut hat zehn Jahre Vorsprung“ – dennoch drückt Klarna aufs Tempo
Es gibt einen Moment, der die Ambivalenz von Klarnas Mission gut beschreibt. Kurz nach dem Börsengang schrieb Aufsichtsratschef Michael Moritz an CEO Siemiatkowski: „Revolut hat zehn Jahre Vorsprung.“ Ein Satz, halb ironisch, halb Warnung. Denn hinter den Ambitionen verbirgt sich eine Tatsache, die sich nicht weglächeln lässt: Revolut hat sich in einem Jahrzehnt ein Ökosystem aufgebaut, das tief im Alltag seiner Nutzer verankert ist.

Trotzdem glaubt Klarna, dass der richtige Moment gekommen ist. Die Marke ist global bekannt, die App hat über 150 Millionen Nutzerkontakte pro Monat, und das Produktportfolio ist modular genug, um neue Funktionen schnell auszurollen. Das Bankkonto ist erst der Anfang, Sparfunktionen folgen, Anlageprodukte sind in Arbeit. Sogar Kryptowährungen bringt Siemiatkowski offen ins Spiel – ein bemerkenswerter Schritt für ein Unternehmen, das bisher stets auf Risikoabsicherung statt Spekulation gesetzt hat.
Die Rolle des Marketings – und der Mann, der Klarna pink färbte
Dass Klarna überhaupt in der Lage ist, Revolut herauszufordern, hängt maßgeblich an einem Mann, der die Branche lange nur von außen beobachtete: David Sandström, 42, Marketingspezialist aus Stockholm. Er führte einst den schwedischen Ableger der US-Digitalagentur DDB, bevor er nach einem Beratungsmandat direkt bei Klarna begann. Seitdem hat er die Marke radikal umgebaut – von blau zu pink, von nüchtern zu poppig, von Dienstleister zu Lifestyle-Produkt.

Kampagnen mit Snoop Dogg oder Paris Hilton waren keine Spielerei, sondern Vorbereitung: Sie etablierten Klarna als Konsumentenmarke, der man zutraut, auch ein Bankkonto zu führen. Denn wer im digitalen Banking bestehen will, muss nicht nur funktional überzeugen, sondern Vertrauen aufbauen – und zwar bei einer jungen, mobile-first geprägten Zielgruppe, die klassische Banken längst abgeschrieben hat.
Warum der Angriff auf Revolut trotzdem riskant bleibt
So ambitioniert Klarnas Kurs ist, so groß sind die Herausforderungen. Revolut ist nicht nur früher gestartet, sondern auch regulatorisch breiter aufgestellt. Die Briten haben Lizenzen in mehreren Märkten, bieten komplexere Finanzprodukte und verfügen über eine Nutzerbasis, die Klarna im Banksegment erst aufbauen muss.
Hinzu kommt: Der Weg zur Neobank erfordert Kapital. Viel Kapital. Klarnas Händlergeschäft liefert planbare Erträge, aber der Aufbau eines vollwertigen Bankangebotes frisst Ressourcen – technologisch, regulatorisch, personell. Revolut hat diesen Prozess bereits hinter sich; Klarna steht mittendrin.
Und dennoch: Der Abstand schrumpft
Was Klarna Mut macht, sind die Daten aus den eigenen Märkten. Wo das Bankkonto eingeführt wurde – etwa in Deutschland, Schweden und den USA –, stiegen die Nutzerzahlen spürbar. Die App entwickelt sich erkennbar hin zu einem Finanzhub, nicht nur zu einem Checkout-Werkzeug. Die Marke zieht, vor allem bei jungen Verbrauchern. Und im Gegensatz zu Revolut hat Klarna eine stärkere Verzahnung mit dem Handel, was zusätzliche Zahlungsströme generiert.
Wenn Klarna diesen Vorteil nutzt und weiter in Richtung Super-App marschiert, könnte der Vorsprung von Revolut tatsächlich schrumpfen. Noch ist das britische Fintech klar vorne. Aber der Weg ist nicht mehr so lang wie vor ein paar Jahren.
Was bleibt? Ein offener Kampf zweier Modelle
Auf der einen Seite Revolut: aggressiv, breit lizenziert, global skalierend.
Auf der anderen Klarna: markenstark, konsumorientiert, spät gestartet – aber mit Milliarden Nutzern im Ökosystem Handel.
Wer in den kommenden Jahren den Ton im europäischen Banking angibt, entscheidet sich nicht nur an Funktionen, sondern an Vertrauen, Tempo und der Fähigkeit, Finanzprodukte in eine App einzubetten, die Nutzer wirklich täglich öffnen.
Für Klarna beginnt jetzt die Phase, in der Showeffekte nicht mehr zählen. Diesmal muss das Ergebnis die Kameras beeindrucken – nicht umgekehrt.



