Der Duft von Neapel in Hamburg
Es zischt, knistert und riecht nach geröstetem Teig und Tomaten – in der kleinen Pizzeria „Bolle“ in Hamburg-Ottensen arbeitet Ferdinando Manna, ein Mann, der Pizza nicht bäckt, sondern zelebriert.
Die Küche ist schlicht, fast unscheinbar. Doch wenn Manna den Fladen mit einem einzigen Schwung in den Ofen schiebt, herrscht kurz andächtige Stille. 60 Sekunden später ist das Ergebnis da: knusprig, leicht, mit einem Rand, der so luftig ist, dass er fast klingt, wenn man ihn anbeißt.
„Eine gute Pizza ist Handwerk, Produkt und Leidenschaft“, sagt Manna, der aus Salerno nach Hamburg kam, um „Pizza so zu backen, wie sie sein sollte“.
Mehl aus Neapel, Tomaten vom Vesuv, Wasser aus der Region Kampanien – alles authentisch, nichts dem Zufall überlassen. „Die Deutschen sind wählerisch geworden“, sagt er lächelnd. „Und das ist gut so.“
Der neue Boom der Klassiker
Pizza war nie weg. Aber sie hat sich verändert. Deutschland erlebt gerade einen wahren Pizza-Boom – nicht mit dicker Teigplatte und viel Käse, sondern mit Anspruch. Filialketten wie „60 seconds to Napoli“, „Bolle“, „Rasoterra“ oder „Frames Pizza & Co“ wachsen rasant, während auch Sterne- und Szene-Köche die italienische Ikone wiederentdecken.
Der Münchner Ableger von „Pizza Gourmet Opera“ serviert Pizza wie Haute Cuisine, in Berlin experimentieren Gastronomen mit Teigen aus Süßkartoffeln oder Vollkorn und in Hamburg gibt’s Pizza im Sandwich-Format – den sogenannten Panuozzo. Der Teig ruht stundenlang, Zutaten werden aus Italien eingeflogen, die Backöfen erreichen Temperaturen, bei denen normale Bäcker Angst um ihr Blech hätten.
Von der Imbissbude zur Manufaktur
„Was früher als schnelles Essen galt, ist heute Kulturgut“, sagt John Drewes, Gründer von „Bolle“. Die Idee kam ihm auf einem Streetfood-Festival. „Ich dachte: Es gibt Foodtrucks für alles – aber keine richtig gute Pizza zum Mitnehmen.“ Das Konzept war geboren: ein leichtes, handwerklich gebackenes Pizza-Sandwich für unterwegs.
Sein Erfolgsgeheimnis? Der Teig. Manna, der die Küche leitet, lässt ihn über 48 Stunden fermentieren, bevor er gebacken wird. „Nur so entsteht dieser Geschmack, der nicht satt, sondern glücklich macht.“
Bei der Gastro-Messe „Internorga“ holte Manna 2024 sogar den ersten Platz im Wettbewerb um die beste „Pizza Napoletana Moderna“ – mit einer klassischen Marinara. Ohne Käse, ohne Firlefanz. Nur Tomate, Knoblauch, Oregano, Basilikum – und Perfektion.
485 Grad, 60 Sekunden, pure Leidenschaft
In den Restaurants von „60 seconds to Napoli“ ist der Name Programm. Der Teig gärt drei Tage, der Ofen läuft mit 485 Grad, und in genau 60 Sekunden entsteht, was Gründer Adrian Kuras „die wahre Pizza“ nennt. „Was hier früher als Pizza galt, hatte mit Italien wenig zu tun“, sagt er trocken. Heute betreibt Kuras mehr als 20 Filialen in Deutschland – Tendenz steigend.
Das Erfolgsrezept: kompromisslose Qualität. Tomaten aus San Marzano, Mozzarella Fior di Latte, Parmaschinken direkt aus der Emilia-Romagna. „Wir wollen den Gästen ein Stück Neapel bringen“, sagt Kuras.
Warum Pizza gerade jetzt boomt
Dass Pizza ausgerechnet in Krisenzeiten so gefragt ist, hat psychologische Gründe. Trotz Inflation und steigender Preise bleibt sie erschwinglich – ein Luxus ohne schlechtes Gewissen. Während ein Restaurantbesuch schnell 50 Euro kostet, bekommt man für die Hälfte einen Abend mit heißem Ofenbrot und geschmolzenem Käse.
„Pizza ist ein kleiner Trostspender“, sagt Marktforscherin Sabine Loch vom Rheingold-Institut. „Sie spricht etwas Archaisches in uns an – das Teilen, das Warten, das Backen. Es ist wie am Lagerfeuer: Man kommt zusammen, teilt und genießt.“
Laut einer Studie der „Jugend in Deutschland 2025“-Reihe hat die Generation Z ihr Ausgehverhalten verändert – weniger Clubs, mehr Essen. Statt Konsumexzessen sucht man heute „erschwingliche Momente echter Freude“. Genau das bietet die Pizza: ein soziales Ritual mit knusprigem Boden.
Zwischen Holzofen und Instagram
Während traditionelle Pizzerien auf Handwerk setzen, nutzt die neue Pizza-Generation geschickt soziale Medien. Foodblogger wie Stefano Zarrella experimentieren mit Teigen aus Süßkartoffeln oder zeigen „Pizza Bowls“ – Schalen aus Teig, die Pasta aufnehmen. Die Bilder von dampfenden, goldbraunen Rändern erzielen Millionen Klicks.
In einer Welt, in der Essen längst zur Selbstdarstellung gehört, ist die Pizza das perfekte Symbol: einfach, sinnlich, fotografierbar – und trotzdem ehrlich.
Pizza als Kultur – und Wirtschaftsfaktor
Was auf den ersten Blick wie ein Foodtrend wirkt, ist längst ein ernstzunehmendes Geschäftsfeld. Die neuen Ketten wachsen zweistellig, Lieferdienste investieren in eigene Pizza-Marken, und Städte wie Berlin oder Hamburg verzeichnen laut DEHOGA den größten Zuwachs an italienischen Restaurants seit zehn Jahren.
Die Kombination aus vergleichsweise niedrigen Rohstoffkosten, hoher Marge und emotionalem Produkt macht Pizza auch wirtschaftlich attraktiv. Für viele Gründer ist sie der Einstieg in die Gastronomie – für Investoren eine Wette auf das Bedürfnis nach einfachem Glück.
Mehr als nur Teig
Am Ende ist es vielleicht genau das, was die Pizza ausmacht: Sie ist unprätentiös, verbindend und verlässlich. Egal, ob aus dem Steinofen in Neapel oder aus der Hand eines Hamburger Start-ups – sie schmeckt nach Wärme, nach Gemeinschaft, nach einem Stück Normalität in unruhigen Zeiten.
Oder, wie es Ferdinando Manna sagt, während er die nächste Pizza aus dem Ofen zieht: „Pizza ist kein Essen. Sie ist eine Stimmung.“

