05. Mai, 2025

Politik

Wie der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextrem einstuft

Die Öffentlichkeit sieht nur die Spitze des Gutachtens, doch erste Zitate zeigen, wie drastisch die Aussagen führender AfD-Funktionäre sind. Der Druck auf Politik und Justiz steigt – ebenso wie die Spannung um ein mögliches Verbot.

Wie der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextrem einstuft
Mit Aussagen wie diesen dokumentiert der Verfassungsschutz ein ethnisches Volksverständnis innerhalb der AfD – ein zentrales Kriterium für die Einstufung als rechtsextremistisch.

Ein Gutachten, das keiner lesen darf

1100 Seiten, geheim. Der Verfassungsschutz hat Fakten gesammelt, ausgewertet, analysiert – und kommt zu einem klaren Urteil: Die AfD ist laut Bundesamt für Verfassungsschutz „gesichert rechtsextremistisch“.

Doch öffentlich sehen dürfen Bürgerinnen und Bürger davon so gut wie nichts. Die brisante Entscheidung basiert auf einem internen Gutachten, das als „nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft ist. Kein PDF, kein Leak, keine transparente Einsicht – zumindest bisher.

Ein gefährliches Vakuum. Denn was fehlt, ist das, was eine offene Demokratie eigentlich ausmacht: Nachvollziehbarkeit. Reicht das als Begründung für eine so weitreichende Einstufung?

Was gesagt wurde – und warum es schwer wiegt

Beispiel 1: Hannes Gnaugs „Naturgesetz“

„Mehr verbindet mich mit euch als mit irgendeinem Syrer oder Afghane“, sagte der AfD-Bundesvorstand im August 2024 auf einem Marktplatz in Brandenburg. Das sei, so Gnaug, ein „Naturgesetz“.

Der Satz offenbart nicht nur ein ethnisches Volksverständnis, sondern grenzt bewusst Menschen mit Migrationshintergrund aus – unabhängig von ihrem Pass, ihrer Leistung, ihrem Engagement.

Es ist ein Narrativ, das in völkisch-nationalistischen Milieus längst bekannt ist – und nun auch ganz offen von Parteispitzen geäußert wird.

Beispiel 2: Dennis Hohloch und der Gewaltbegriff

In Brandenburg sprach Hohloch, ehemaliger Fraktionsgeschäftsführer der AfD, von Multikulti als Ursprung von „Mord, Totschlag, Raub und Gruppenvergewaltigung“.

Eine Aussage, die Migranten pauschal kriminalisiert und gesellschaftliche Vielfalt als Bedrohung inszeniert. Der Begriff „Multikulti“ wird hier nicht diskutiert, sondern dämonisiert – eine Sprache, die sich nicht nur am rechten Rand, sondern darüber hinaus bewegt.

Beispiel 3: Martin Reichardt und die „rückständigen Kulturen“

In einem mittlerweile gelöschten Tweet schrieb Reichardt von einem „Import von Menschen aus zutiefst rückständigen und frauenfeindlichen Kulturen“.

Das 1100 Seiten starke Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD ist nicht öffentlich einsehbar – für eine offene Demokratie ein heikler Spagat zwischen Quellenschutz und Transparenz.

Der Bundestagsabgeordnete spricht damit nicht über Integration oder Bildung, sondern über Kultur als Makel – ein Framing, das systematisch andere Kulturen abwertet. Dass der Tweet gelöscht wurde, dürfte dabei nicht mehr viel ändern. Die Archivfunktion des Internets ist in solchen Fällen schneller als jede digitale Reue.

Ein Verfassungsschutz unter Zugzwang

Das Bundesamt argumentiert, dass vertrauliche Quellen mitgeschützt werden müssen – und das Gutachten deshalb nicht veröffentlicht werden kann. Verfassungsrechtler wie Oliver Lembcke zeigen Verständnis, warnen aber zugleich: Wenn der Staat eine ganze Partei als extremistisch einstuft, müsse die Entscheidung überprüfbar sein. Sonst verliere sie an Legitimität – und spiele der AfD genau in die Hände.

Der Fall ist heikel. Einerseits das Gutachten, das belastet – andererseits die Partei, die sich als Opfer inszeniert. Co-Vorsitzende Alice Weidel sprach von einem „Schlag gegen die Demokratie“ und zog die Unabhängigkeit der Entscheidung in Zweifel.

Der Verfassungsschutz, konterte sie, sei nicht mehr handlungsfähig, die Bundesregierung nur noch kommissarisch im Amt. Eine politische Verteidigungsstrategie, die auf maximale Mobilisierung der eigenen Basis abzielt.

Pauschale Kriminalisierung von Migranten: Solche Aussagen stützen laut BfV die Annahme, dass die AfD ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild vertritt.

Ein Urteil mit Folgen – auch juristisch

Die Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ ist mehr als nur ein Etikett. Sie ermöglicht tiefergehende Überwachungsmaßnahmen, den Einsatz von V-Leuten und verschärft die politische Auseinandersetzung erheblich.

Und: Sie bereitet juristisch den Boden für ein mögliches Parteiverbot – auch wenn dieses nur das Bundesverfassungsgericht aussprechen kann.

Ob es dazu kommt, ist offen. Sicher ist: Das Gutachten wird in den nächsten Monaten ein politisches und juristisches Nachspiel haben. CSU-Politiker Alexander Dobrindt rechnet bereits mit einer gerichtlichen Überprüfung.

Und sie wäre wohl auch dringend nötig. Nicht, weil die Einschätzung des Verfassungsschutzes schwach wäre – sondern weil sie derzeit in einer Blackbox liegt.

Was auf dem Spiel steht

Für die Demokratie ist dieser Moment ein doppelter Stresstest: Sie muss einerseits wehrhaft sein gegen verfassungsfeindliche Kräfte – und andererseits offen und überprüfbar bleiben. Genau hier liegt das Dilemma. Ein 1100-Seiten-Gutachten ohne Öffentlichkeit gefährdet die politische Debatte.

Eine Partei wie die AfD kann sich in dieser Lage als Märtyrer inszenieren – gerade dann, wenn Belege nicht frei zugänglich sind.

Die AfD hat mit ihren Worten Fakten geschaffen. Der Verfassungsschutz hat reagiert. Doch jetzt braucht es Transparenz, sonst läuft das System Gefahr, an seiner eigenen Intransparenz zu scheitern.