07. Oktober, 2025

Märkte

Wie der Boom der privaten Kreditmärkte zur Zeitbombe werden könnte

Der Zusammenbruch des US-Autozulieferers First Brands legt offen, wie undurchsichtig der Markt für Private Debt inzwischen geworden ist – und warum das Risiko längst nicht mehr bei Hedgefonds endet, sondern bei Versicherungen, Stiftungen und Pensionskassen ankommt.

Wie der Boom der privaten Kreditmärkte zur Zeitbombe werden könnte
Der Markt für Private Credit ist in nur fünf Jahren auf rund 1,7 Billionen Dollar angewachsen – doppelt so groß wie noch 2020.

Wenn Risiko in den Schatten wandert

An den US-Börsen jagt ein Rekord den nächsten. Die Kurse steigen, das Vertrauen ist groß. Doch unter der Oberfläche beginnt es zu gären – nicht im Aktienhandel, sondern in einem Bereich, den selbst viele Profianleger kaum durchdringen: den privaten Kreditmärkten, auch bekannt als Private Credit oder Private Debt.

Lange galt dieser Markt als Nische für spezialisierte Investoren – diskret, renditestark, unreguliert. Heute ist er ein 1,7-Billionen-Dollar-Koloss, der traditionelle Banken zunehmend ersetzt. Kreditvergabe ohne Börsenaufsicht, ohne Bonitätstransparenz, ohne die Prüfmechanismen, die nach 2008 eingeführt wurden.

Der Fall First Brands zeigt nun, wie verwundbar dieses System ist – und wie eng die Verbindungen zwischen Schattenfinanz und Realwirtschaft längst geworden sind.

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Frankreichs politische Krise spitzt sich dramatisch zu: Der Rücktritt von Premierminister Sébastien Lecornu nur wenige Wochen nach seiner Ernennung hat das Vertrauen der Finanzmärkte erschüttert – und bringt die Eurozone in gefährliche Schieflage.

Die Pleite, die keiner kommen sah

First Brands – der Name steht in den USA für Ersatzteile, Bremsen, Scheibenwischer. Ein typisches, wenig glamouröses Industrieunternehmen. Doch hinter der unscheinbaren Fassade war ein riskanter Finanzierungsturm entstanden: Schulden über bis zu 50 Milliarden Dollar, größtenteils am privaten Kreditmarkt aufgenommen.

Als das Unternehmen Ende September Insolvenz anmeldete, konnte es nicht einmal genau beziffern, wie hoch die eigenen Verbindlichkeiten sind. Ein Detail, das im regulierten Bankensektor undenkbar wäre.

Die Kredite stammten von Dutzenden Fonds, die wiederum über verschachtelte Vehikel an Banken und institutionelle Investoren angebunden sind – darunter Fonds unter dem Dach der Schweizer Großbank UBS, die laut Financial Times Hunderte Millionen Dollar verlieren könnten.

Wenn Transparenz zur Ausnahme wird

Der Reiz des Private Credit liegt in seiner Einfachheit: Unternehmen erhalten Kapital schnell und unbürokratisch, Anleger kassieren Zinsen von acht bis zwölf Prozent – deutlich mehr als im Anleihemarkt.

Das Problem: Es gibt keine Meldepflichten, keine Ratings, keine zentralen Datenbanken. Fonds vergeben Kredite unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Konditionen sind vertraulich. Und selbst Regulierer wie die US-Notenbank Fed oder die europäische EZB müssen einräumen, dass sie kein vollständiges Bild dieser Finanzströme haben.

Was 2008 die Hypothekenpapiere waren, könnten heute die privaten Unternehmenskredite sein: ein Markt, dessen Risiken erst sichtbar werden, wenn es zu spät ist.

UBS-Fonds drohen Verluste in dreistelliger Millionenhöhe – ein Hinweis, wie eng Banken und Schattenfinanz inzwischen verflochten sind.

Das neue Geld der alten Welt

Inzwischen sind es längst nicht mehr Hedgefonds, die diese Kredite halten. Versicherer, Stiftungen, Pensionskassen – Institutionen, die eigentlich für Stabilität stehen – investieren zunehmend in Private Debt. Sie suchen Rendite in einem Zinsumfeld, das lange zu flach war, um klassische Anleihen attraktiv zu machen.

Laut einer Studie von Fitch Ratings fließt inzwischen rund ein Drittel des Kapitals im Private-Debt-Sektor aus traditionellen Finanzhäusern. Das bedeutet: Sollte es zu Zahlungsausfällen kommen, träfe die Verluste nicht mehr nur Fondsmanager, sondern das Rückgrat des Pensions- und Versicherungssystems.

Die unterschätzte Kettenreaktion

Die Risiken liegen weniger im Volumen – 1,7 Billionen Dollar sind im Vergleich zum globalen Kreditmarkt (über 30 Billionen) überschaubar – als in der Verflechtung.

Wenn ein Unternehmen wie First Brands fällt, verlieren Private-Debt-Fonds Geld. Deren Anleger – Versicherungen, Staatsfonds, Family Offices – müssen diese Verluste bilanzieren. Das wiederum zwingt sie, Liquidität freizumachen, Vermögenswerte zu verkaufen oder Kreditlinien zurückzufahren.

Das Muster ist bekannt: Liquiditätsengpässe breiten sich aus wie Feuer – erst in den Bilanzen, dann in den Märkten.

Die Ironie der Wall Street

Selbst die großen Banken wissen um die Risiken – und treiben den Trend dennoch voran. Jamie Dimon, Chef von JP Morgan, warnte im Juni öffentlich, Private Credit könne bei der nächsten Krise „zum Brandbeschleuniger“ werden.
Nur wenige Stunden später kündigte seine Bank eine 50-Milliarden-Dollar-Offensive im selben Segment an.

Die Logik ist klar: Solange der Markt boomt, verdienen alle daran. Die Fonds kassieren Gebühren, die Unternehmen Kapital – und die Banken Provisionen. Die Frage nach den Risiken stellt sich meist erst, wenn die Party vorbei ist.

Alte Fehler, neue Verpackung

Was Private Credit so gefährlich macht, ist nicht die Gier – es ist die Unsichtbarkeit. Bei klassischen Krediten sehen Regulierer, wie hoch die Risiken sind, wer sie trägt und wo sie liegen. Im privaten Markt bleibt vieles im Dunkeln.

Das erinnert fatal an die Jahre vor der Finanzkrise 2008, als sogenannte Collateralized Debt Obligations (CDOs) aus Hypotheken gebündelt und weiterverkauft wurden, bis niemand mehr wusste, wer wofür haftet. Nur dass die heutigen Schulden keine Häuser, sondern Unternehmen finanzieren – und die Komplexität noch gewachsen ist.

Europa: Das Risiko schwappt über

Auch in Europa wächst der Markt rasant. Laut Preqin stieg das Volumen europäischer Private-Debt-Fonds allein in den vergangenen drei Jahren um fast 70 Prozent. Deutsche Versicherer und Stiftungen gehören zu den aktivsten Investoren – oft über Luxemburger Strukturen.

Bisher gab es keine größeren Ausfälle, doch die Abhängigkeit steigt. Und mit ihr die Gefahr, dass ein Schock in den USA oder Großbritannien direkt auf europäische Bilanzen durchschlägt.

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Die neuen Schattenbanken

Private-Debt-Fonds agieren heute wie Banken – nur ohne deren Verpflichtungen. Sie vergeben Kredite, bewerten Risiken, verhandeln Covenants. Aber sie unterliegen keiner Eigenkapitalquote, keiner Einlagensicherung, keiner systematischen Aufsicht.

Solange die Wirtschaft läuft, funktioniert das Modell. Wenn sie wankt, droht eine Schockwelle – nicht laut, nicht spektakulär, sondern schleichend und vernetzt.

Das schwächste Glied

Die Pleite von First Brands ist kein Einzelfall. Sie ist das erste sichtbare Symptom einer strukturellen Überdehnung. Die Kombination aus hoher Verschuldung, intransparenten Strukturen und schwacher Regulierung ist brandgefährlich.

Noch halten die Märkte – auch, weil Liquidität weiter reichlich vorhanden ist. Doch das Vertrauen in die private Kreditwelt ist fragil. Schon wenige große Ausfälle könnten ausreichen, um Anleger in Panik zu versetzen – und das System aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Der gefährliche Luxus der Ignoranz

Dass viele Marktteilnehmer diese Risiken kennen, macht die Lage nicht besser, sondern schlimmer. Denn es zeigt, dass das System aus Anreiz und Risiko erneut nicht funktioniert.
Die Banken, die einst für Disziplin sorgen sollten, sind heute wieder Akteure und Profiteure zugleich.

Der Private-Debt-Boom ist kein Nischenphänomen mehr. Er ist die stille Revolution des Finanzsystems – und womöglich seine Achillesferse.

Der Schatten wird länger

Der Fall First Brands ist ein Warnsignal – nicht wegen seiner Größe, sondern wegen seiner Symbolik.
Er zeigt, dass der Finanzkapitalismus gelernt hat, Risiken zu verschieben, statt sie zu reduzieren.
Was einst im Hypothekenmarkt begann, spielt sich heute im Corporate Credit ab.

Ob es diesmal mit einem Knall oder nur mit einem Zischen endet, ist ungewiss. Sicher ist nur: Wenn Schattenmärkte wachsen, schrumpft die Kontrolle.

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